Warum Frauen vorsichtiger mit Geld umgehen als Männer
Auch bei Geld und
Finanzen bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Im Alltag
bewährt sich der risikoscheue Zugang von Frauen, Nachteile bringt er in
der Veranlagung
von Alexander Hahn
Über die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind wohl unzählige
Bücher geschrieben worden. Auch wenn es sich um Geld dreht, haben
Frauen oft einen anderen Blick auf die Dinge als männliche Zeitgenossen.
Das offenbaren auch Umfragen zu dem Thema, etwa die Studie "Frauen und
Finanzen" vom Bankenverband und der Bawag, die auch die Auswirkungen der
Corona-Pandemie untersucht hat. Das Ergebnis ist symptomatisch für das
unterschiedliche Finanzverhalten. So gehen vor allem Frauen vorsichtiger
mit Geld um, sparen also mehr, gehen aber bei der Veranlagung Risiken
noch stärker aus dem Weg.
Was aus dieser Studie jedoch nicht hervorgeht, sind die Ursachen für
die unterschiedlichen Zugänge von Männern und Frauen. Damit hat sich
Bettina Fuhrmann, die an der WU Wien das Institut für
Wirtschaftspädagogik leitet, intensiv beschäftigt – und sie sieht vor
allem zwei Ursachen, nämlich geringeres Finanzwissen als bei Männern und
weniger Selbstbewusstsein.
Weniger Finanzbildung
Fuhrmann berichtet von
Untersuchungen, die Frauen weniger Know-how über Geld und Finanzen
attestieren. "Meistens sind die Unterschiede im Finanzwissen
signifikant, die Ergebnisse sind überfällig. Es gibt tatsächlich einen
systematischen Wissensunterschied zwischen den Geschlechtern", sagt sie –
und schränkt den Befund insofern ein, als dass es sich bei solchen
Befragungen oft um Multiple-Choice-Tests handle, bei denen Männer
generell besser abschneiden. Warum? Weil sie sich bei Nichtwissen der
richtigen Antwort eher trauen, einfach zu raten.
Denn in diesem Punkt gilt ebenso wie bei der Geldanlage: Frauen sind
weniger dazu bereit, etwas zu riskieren – und womöglich auf das falsche
Pferd zu setzen. "Es geht darum, das Selbstbewusstsein von Frauen zu
stärken und sie zu befähigen, bewusst mit Risiken umzugehen", sagt
Fuhrmann. "Natürlich kann man nichts gewinnen, wenn man auf der anderen
Seite nicht auch etwas verlieren kann, aber es gibt ein Nehmen von
Risiko, das nichts mit Zocken zu tun hat." Denn Sicherheitsvarianten wie
das Sparbuch werfen keine Zinsen mehr ab, die Inflation erodiert die
Kaufkraft des Ersparten.
Mutigere Berufswahl
Mutiger und selbstbewusster sollten
Mädchen Fuhrmann zufolge bereits bei der Berufswahl sein. Sie würden vor
allem drei Lehrberufe, nämlich Büro- und Einzelhandelskauffrau sowie
Friseurin, wählen, die jedoch kein hohes Einkommen versprechen. "Es ist
unwahrscheinlich, dass die Interessen und Begabungen von Mädchen weniger
breit gefächert sind als jene von Burschen", sagt die WU-Expertin dazu.
Es geht also auch darum, aus bekannten Geschlechterrollen auszubrechen.
Dies ist allerdings ein weiter Weg, denn bei der Studie des
Bankenverbands und der Bawag fällt auf, dass junge Frauen zumeist die
Mutter als wichtigste Ratgeberin in Finanzfragen angeben, während sich
Männer meist an den Vater wenden. Durch diese Feedbackschleife werden
jedoch tendenziell geschlechterspezifische Verhaltensmuster an die
nächste Generation weitergereicht.
Corona verfestigt Muster
Was abgesehen von der
Veranlagung für Frauen durchaus vom Vorteil sein sollte, denn: "Frauen
gehen durchschnittlich gesehen sorgfältiger mit Geld um", betont
Fuhrmann. Die Folge: Sie tappen seltener in Schuldenfallen als Männer
und sind weniger oft überschuldet. Zudem hat die Corona-Krise dieses
Verhaltensmuster verfestigt, geht aus der Studie hervor: Deutlich mehr
Frauen als Männer gaben an, wegen der Pandemie umsichtiger als zuvor mit
Geld umzugehen.
Generell scheint bei jungen Frauen der Umfrage zufolge das Interesse
an Finanzwissen zu steigen, wobei junge allerdings pessimistischer sind
als ältere. Dazu hat wohl auch die anhaltende Nullzinsphase beigetragen,
denn wie früher mit dem Sparbuch einen Kapitalstock aufzubauen, geht
nun nicht mehr. Dazu kommen die enorm gestiegenen Immobilienpreise.
"Wohneigentum zu schaffen ist für junge Menschen kaum mehr finanziell
bewältigbar, ohne dass sie sich bis zur Haarwurzel verschulden. Umso
wichtiger ist es, dass sie sich mit finanziellen Fragen auskennen."
Dazu ist für Fuhrmann die Schule der wichtigste Ansatzpunkt, um die
Finanzbildung künftiger Generationen zu heben. Denn Know-how über Geld
und Finanzen wird bisher zumeist in Familien vererbt – daher kann der
Wirtschaftsuniversität-Wien-Expertin zufolge eine verstärkte Integration
in den Lehrplan auch die Ungleichheit in Österreich in Zukunft
verringern.
Nota. -Männer sind nicht einfach mutiger als Frauen, sondern abenteuerlustiger - weil sie verspielter sind; denn sie stehen den Kindernnoch oder wieder näher als jene. Sinds die Gene, sinds die Hormone, isses die Kultur? Stelle anheim.
Werbeverbot für Abtreibung wird gestrichen Paragraf 219a Strafgesetzbuch ist nicht der Skandal, zu dem er gemacht wird
Der Schwangerschaftsabbruch wird aus gutem Grund im Strafgesetz
geregelt, das Werbeverbot auch. Das Konzept dahinter hat sich als
tauglich erwiesen. Ein Kommentar
Bald soll das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche fallen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat am Montag einen
Referentenentwurf mit der Streichung des umstrittenen Paragrafen 219a
Strafgesetzbuch auf den Weg gebracht; die Koalition hatte es so verabredet.
Unter
den Ampelpartnern gilt die Vorschrift als unzeitgemäß, weil sie
sachliche Informationen über Abtreibungsangebote angeblich behindert.
Viele Frauenpolitiker beklagen den Zustand schon lange, weil sie das
Werbeverbot als fortgesetzte Entmündigung empfinden, in die Schwangere
durch den Abtreibungsparagrafen 218 ohnehin
hineingezwungen würden. Aus ihrer Sicht ist die gegenwärtige Rechtslage
ein unzulässiger Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, letztlich: ein
Skandal, der Anlass zur Empörung gibt ebenso wie das unsägliche
Auftreten von Abtreibungsgegnern vor Arztpraxen oder das Bestreben
mancher US-Bundesstaaten, Schwangerschaftsabbruch bis zur Unmöglichkeit
zu erschweren.
Wer sich informieren will, kann es. Besser denn je
Wer
dieses Szenario für plausibel hält, wird die Abschaffung von Paragraf
219a als wichtigen ersten Schritt betrachten. Es sollten aber weitere
Perspektiven erlaubt sein. So war es wohl noch nie so einfach wie heute,
sich über Möglichkeiten und Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs zu
informieren und mit Stellen in Kontakt zu kommen, die ihn durchführen.
Es ist in der Bundesrepublik keine Schwangere bekannt geworden, die
infolge eines Mangels daran oder wegen des Werbeverbots ein Kind
austragen musste. Ein ausreichendes medizinisches Angebot vorzuhalten,
ist gesetzliche Pflicht. Der auf politischer Ebene ausgefochtene Kampf
um das Selbstbestimmungsrecht schrumpft in der Lebenswirklichkeit
Betroffener auf die obligatorische Beratung zusammen. Alles in allem
kann sich jede Frau in den ersten Schwangerschaftswochen frei
entscheiden, diese medizinisch versorgt und rechtlich gesichert zu
beenden. Wäre es anders, wäre es in der Tat ein Skandal.
Der
ungeliebte und unter der großen Koalition bereits reformierte Paragraf
219a war bisher Teil eines Schutzkonzepts, das aufgrund der Zuschreibung
eines Embryos als „Leben“ noch immer im Strafgesetzbuch seinen Platz
hat. Für eine solche Straftat, auch wenn sie ausnahmsweise und unter
bestimmten Bedingung erlaubt ist, sollte nicht ohne Weiteres geworben
werden dürfen, so der Gedanke. Er folgt einer Logik, die das
Bundesverfassungsgericht vor Jahrzehnten als verbindlich statuiert hat:
Auch ungeborenes Leben steht demnach unter dem Schutz der staatlichen
Gemeinschaft.
Im sich anbahnenden Kulturkampf könnten die ungewollt Schwangeren die Verliererinnen sein
Ob es überfällig ist, sich von diesen Kategorien zu lösen, scheint angesichts der Diskussionen in den USA und
Europa fraglich. Der geltende, gewiss sowohl juristisch wie moralisch
und politisch angreifbare Kompromiss hat es immerhin geschafft, dass der
Abbruch einer Schwangerschaft heute gesellschaftlich weithin akzeptiert
ist, ohne die an ihm ebenso zulässige Fundamentalkritik aus dem Diskurs
auszuschließen. Dass er von Schwangeren Unzumutbares verlangt, ist
nicht ersichtlich. Zugleich sind die Zahlen in etwa stabil. Würde es
nicht angesichts der menschlichen Nöte der Beteiligten gefühllos
klingen, man könnte von einem Erfolgsmodell sprechen.
Natürlich kann man nach neuen Modellen suchen. Aber sind sie so
gut wie das alte? Lohnen sich neue Konflikte? Im sich anbahnenden
Kulturkampf könnten die ungewollt Schwangeren die Verliererinnen sein.
Das darf nicht passieren.
Nota. - Vor vierzig, fünfzig Ja hren war ungewollte Schwangerschaft ein soziales und war der § 218 ein Klassenproblem. Nämlich keines für Mädchen aus gebildetem, aufgeklärt liberalem und gut vernetztem Milieu, sondern für die Minderbemittelten. Wer heute ungewollt schwan-ger wird, hat dagegen bloß nicht achtgegeben. Es ist wirklich übertrieben, aus dem Nichtacht-geben ein Menschenrecht zu machen, für das die Solidarität Anderer in Anspruch genommen wird.
Die Frau verschwindet im politisch korrekten Newspeak
Auch
Männer können Frauen werden. Aber sind sie dann wirklich Frauen? Ja,
sagen Transgender-Aktivisten. Und was bleibt der Frau, wenn alle Frau
sein können, die Frau sein wollen?
von Sarah Pines
Bleiben
von der Frau nur ein paar Tropfen Blut? In England und den USA wird,
unter Druck des Transgender-Aktivismus und befeuert von «progressiven»
Männern, die Kategorie «Frau» auf Formularen oder im öffentlichen
Diskurs zunehmend durch den Begriff «menstruierende Person» ersetzt.
«Breast-feeding» heisst «chest-feeding», auf Geburtenstationen liegt
nicht mehr «die Mutter von», sondern «das Elternteil von».
Frausein
und Weiblichkeit, so die Logik hinter den neuen Formulierungen, ist
nicht biologisch, sondern sozial konstruiert. Die Bezeichnung «Frau» nur
für Frauen offenzuhalten, die als solche geboren wurden, sei deshalb
potenziell diskriminierend. Befürworter des Begriffs «menstruierende
Person» fordern kompromisslose politische und inklusive Korrektheit im
Hinblick auf die Trans-Community, zum Schutz der Individualität und der
Gefühle des Einzelnen. Weil es aber biologische Gegebenheiten gibt, um
die man nicht herumkommt, bleibt der Frau am Ende nur noch die
Menstruation als Kennzeichen ihrer Identität.
Es
tobt ein Streit zwischen Transaktivisten und Feministinnen. Frauen, die
an der weiblichen Biologie von Transfrauen zweifeln, Bezeichnungen wie
«menstruierende Person» ablehnen, werden als bigotte Faschisten
bezeichnet, abschätzig «Terf» genannt («trans-exclusionary radical
feminists»). Auf der anderen Seite heisst es: Die «Frau» sei kein mit
inklusiven Parolen bedrucktes Zelt, in dem alle, aber auch wirklich alle
willkommen seien, die meinen, «Frau» zu sein – ausser den Frauen
selbst.
Frauen, die Männer sind
Frauen
seien, genauso wie Männer, komplexe Gewebe aus sozialen und
biologischen Gegebenheiten, betonen Feministinnen. Das Gesetz mache
keine Aussagen zu biologischen Fakten, es lege also nicht fest, ob eine
Transfrau «wirklich» eine Frau sei. Deshalb seien Transfrauen biologisch
immer noch Männer. Das alte Patriarchat mit dem Mann an der Spitze habe
die Frau unsichtbar gemacht, nun komme das neue Patriarchat in
Frauenkleidern. Mit «Frauen», die nie reale weibliche Erfahrungen
gemacht haben: die Panik nach dem Vergessen der Pille, die Angst vor
Vergewaltigung, Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz und so weiter.
Die
Reduktion der biologischen Frau auf die Periode, so der Tenor, sei ein
undemokratischer, sexistischer und frauenfeindlicher Eingriff in
Persönlichkeitsrechte, das Ende der Geschichte der Befreiung von
patriarchalen Strukturen, der Beginn einer modernen Hexenjagd auf als
Frau geborene Frauen, die sich exklusiv «Frauen» nennen möchten.
Frausein
sei kein Kostüm, schrieb die «Harry Potter»-Autorin J. K. Rowling.
Nachdem sie für ihre Kritik am Begriff der «menstruierenden Person» ins
Kreuzfeuer des Transgenderaktivismus geraten ist, wird sie gecancelt:
«Viele Frauen empfinden die ‹inklusive› Sprache, in der weibliche
Personen als ‹Menstruierende› oder ‹Menschen mit Vulva› bezeichnet
werden, als entmenschlichend und erniedrigend... Für Frauen ist diese
Sprache nicht neutral, sondern feindselig und entfremdend.»
Was Frauen zu Frauen macht
Auch
die britische Philosophin Kathleen Stock, die vergangenes Jahr nach
Protesten gegen ihre Aussagen zur biologischen Geschlechterdifferenz
ihre Professur niederlegen musste, verwies auf die symbolische
Enteignung der Frau durch einen letztlich chauvinistisch agierenden
Transgenderaktivismus: «Für viele Transaktivisten», schrieb sie, «sind
Transfrauen im wörtlichen Sinn Frauen, und wenn sie Kinder haben, können
sie auch Mütter sein. Haben sie Partnerinnen, können sie lesbisch sein,
sie können auch Opfer von Frauenhass sein und so weiter. Nacheinander
fallen die Begriffe, mit denen Frauen sich beschreiben, dahin wie
Dominosteine.»
Nicht
nur treibt die Bezeichnung der Frau als «menstruierende Person» einen
unnötigen Keil zwischen Frauen und die Transgemeinde. Die Reduktion der
Frau auf ihre Periode interpretiert die Gedanken Judith Butlers fehl,
der Vordenkerin der Geschlechtertheorie, die doch eigentlich zur
Legitimation der neuen Begrifflichkeit herbeigezogen wird. Was macht in
westlichen Gesellschaften Frauen zu Frauen, Männer zu Männern? Seit dem
Erscheinen von Butlers bahnbrechendem Buch «Gender Trouble» (1990) wird
darüber debattiert.
«Konservative
Biologisten» kritisieren «linke Gendertheoretiker» für die Leugnung
biologischer Tatsachen und die Konzeption vom Körper als nacktem Brett,
auf das die Gesellschaft Geschlechterregeln einkerbe. Die Vertreter der
Gendertheorie entgegnen darauf, biologische Dispositionen und
Hormonstrukturen reichten nicht aus, um daraus verschiedene
Eigenschaften, Fähigkeiten und Tätigkeitsbereiche von Mann und Frau
abzuleiten, im Stil von: Prädestinieren Eierstöcke eine Frau zur
Hausfrau und zu Emotionalität, Hoden einen Mann zu harter Arbeit und
Rationalität?
Bittere Ironie
Nur,
hat Judith Butler immer betont, gehe es gerade nicht um die Leugnung
körperlicher Unterschiede von Mann und Frau, sondern um eine viel
interessantere Frage: Warum werden bestimmte körperliche Gegebenheiten
von Mann und Frau so lange beständig wiederholt, besprochen und
dargestellt, bis sie zur Norm werden, während andere Eigenschaften als
«abweichend», «unnatürlich» oder «unschön» gelten?
Der
Feminismus hat wunderbare Vorkämpferinnen. Suffragetten kämpften für
als Frauen geborene Frauen für gleiche Rechte, Berufe,
Ausbildungsplätze. Nicht mehr. Und heute soll das körperliche Merkmal,
das als Frau geborene Frauen noch zu kennzeichnen vermag, die
Menstruation sein – nach der Logik des vulgärfeministischen Newspeak.
Eine Reduktion also, und zwar eine, die die patriarchale Ordnung
reproduziert – die sie doch eigentlich durchbrechen wollte.
Das
ist misogyn und entmenschlichend. Denn was ist mit Frauen, die nicht
oder nicht mehr menstruieren? Die magersüchtige Frau, die kranke Frau,
die Frau nach der Menopause sind dieser Logik zufolge weder Frau noch
Person, sondern nichts mehr. Allein die gebärfähige Frau ist es offenbar
noch wert, in den Katalog legal definierter Gesellschaftsmitglieder
aufgenommen zu werden. Eine bittere Ironie.
Persona non grata
Nur
wenig hat der Feminismus so vehement bekämpft wie die Mutterschaft. Für
Feministinnen wie Simone de Beauvoir war das zu stillende Kind ein
Blutegel, die Frau eine vom Mann unterdrückte Reproduktionsmaschine. Nun
bleibt sie das, eine menstruierende Persona non grata, möge sie mit der
letzten biologischen Realität, die ihr bleibt, anstellen, was sie will.
1986
schrieb die amerikanische Feministin Gloria Steinem noch selbstbewusst,
die Männer würden den Frauen auch noch die Menstruation wegnehmen, wenn
sie es könnten. Doch niemand, scheint es, will menstruieren, kein Mann,
keine «Frau». Die monatliche Blutung, die der biologischen Frau noch
zugestanden wird, ist der misogyne rote Faden des Frauseins.
Schliesslich
galten Frauen während der Periode in vielen Kulturkreisen als unrein.
Der Geruch von Menstruationsblut vertreibe Tiere und Menschen, lautet
ein alter, verbreiteter Aberglaube. Die Periode ist eine Rückkehr in
urtümliche Stadien der Menschheitsgeschichte, Folge des Sündenfalls.
Schon die Ritualmordlegenden der Reformation entwarfen das Bild der
«Judensau», die aus einem vaginaähnlichen Geschlechtsteil heraus
menstruiert. Nicht die Gebärmutter kennzeichnet die Frau, sondern das
«Abjekt», wie die Psychoanalytikerin Julia Kristeva es genannt hat:
Blut, Auflösung, Verflüssigung.
Jeder, der will, hat ein Recht
Die
«Frau» als soziale Kategorie hingegen, so hätte Georg Lukács es
beschrieben, ist zum kulturellen Konstrukt geworden, wie der
Air-Conditioner oder das Ladegerät für das iPhone: Jeder, der will, hat
ein Recht darauf. Wenn der Mann «Frau» wird und die biologische Frau zur
menstruierenden Person, dann ist dies die tragische Kehrseite der
Dialektik der Metamorphose, die schon Ovid beschrieben hat: Strukturen
entstehen und werden zerstört, Neues kommt auf, wird ebenfalls
strukturbildend, dann wird es unterdrückt und ausgegrenzt.
Der
Feminismus anerkennt die Frau und ihre Unterschiede zum Mann.
Weiblichkeit ist keine männliche Projektion, die Welt funktioniert nicht
immer phallozentrisch. Phallozentrischer als «menstruierende Person»
kann ein Begriff allerdings gar nicht mehr sein. Die Öffnung der
Kategorie «Frau» reduziert den Unterschied zwischen Mann und Frau auf
eine identitäre Kategorie, nach dem Grundsatz: Wenn ich mich als Frau
fühle, bin ich auch eine.
Ausser
für die «menstruierende Person» ist die Zugehörigkeit zu einer
marginalisierten Gruppe nicht länger ausgrenzend, im Gegenteil:
«Frausein» ist befreiend und ermächtigend. Noch eine dialektische
Umkehrung: Der Mann, der Hausarbeit macht, ist nicht weniger Mann,
sondern mehr Mann. Die Transfrau ist mehr Frau als die Frau. Und die
biologische Frau? Sie ist Menstruation, zyklische Natur, ein abbaubares
Restprodukt auf dem Komposthaufen der Geschichte.
Nota. -Zur unvermeidlichen Rivalität zwischen Feministinnen und Genderstudiosen habe ich mich bereits geäußert. Ich lasse das Obige daher unkommentiert.
aus FAZ.NET, 10. 1. 2022 Darstellung eines fünf Monate alten Fötus aus dem neunzehnten Jahrhundert
Welchen Einfluss hat das Verhalten der schwangeren Frau auf das Kind?
Hier wird die ideologische Komplexität moderner Wissenschaft
offengelegt: Sarah Richardson wirft einen kritischen Blick auf die
Forschungen zu Effekten mütterlicher Prägung des heranwachsenden Fötus.
Von Thomas Weber
Anders
als es die rasanten Entwicklungen innerhalb der Genetik in den
vergangenen Jahrzehnten erwarten lassen, ist die moderne Medizin
keineswegs einem durch und durch deterministischen Verständnis von Genen
verbunden. Vor allem der Einfluss der Umwelt – und des mütterlichen
Verhaltens – auf den sich im Mutterleib entwickelnden Fötus gilt als ein
paradigmatisches Beispiel dafür, wie die Umwelt die Wirkung von Genen
modulieren kann und wie solche Umwelteffekte über mehrere Generationen
wirksam bleiben können.
Die Vererbung erworbener
Eigenschaften ist in der Medizin keine Häresie, sondern Grundlage eines
enorm produktiven Forschungsprogramms. Die generationenübergreifenden
Folgen der niederländischen Hungersnot im Winter 1944/45 oder die
Weitergabe des Traumas von Holocaust-Überlebenden auf ihre Nachkommen
sind zwei paradigmatische Beispiele für die Erkenntnisse dieser
Forschungen. Dass Mütter während der Schwangerschaft einen besonderen
Einfluss auf ihren Nachwuchs haben können, ist jedoch eine alles andere
als neue Idee.
Stress und Mangelernährung
Die Wissenschaftshistorikerin Sarah
Richardson stellt diese Forschung in ihren historischen Kontext und
wirft einen kritischen Blick auf ihre Grundannahmen, Methoden und
Schlussfolgerungen. In den ersten vier Kapiteln ihres Buches stellt
Richardson konzis und anschaulich dar, wie sich das medizinische und
wissenschaftliche Denken über den mütterlichen und väterlichen Beitrag
zur Ausprägung des Nachwuchses entwickelte. Dreh- und Angelpunkt ihrer
Darstellung ist August Weismanns Keimplasmatheorie (1882), die besagte,
dass nur das in den Ei- oder Samenzellen befindliche Erbgut
weitergegeben wird, dass Vater und Mutter den gleichen Beitrag zum
Nachwuchs leisten, dass es gleichgültig ist, ob ein Erbfaktor von
mütterlicher oder väterlicher Seite kommt, und dass es keine Vererbung
erworbener Eigenschaften geben kann.
Weismanns
Theorie – für die der Begriff „Neodarwinismus“ geprägt wurde – bildete
einen radikalen Bruch zu früheren Theorien der Fortpflanzung und
Vererbung und war ein wesentliches Element in der Entwicklung der
modernen Evolutionsbiologie. Von der Antike bis zum neunzehnten
Jahrhundert wurde der Einfluss der Mutter und des Vaters als
unterschiedlich beurteilt. Außergewöhnlich bedeutsam war die
Vorstellung, dass Emotionen und Erfahrungen einer schwangeren Frau sich
dem Fötus aufprägen können und zu Muttermalen, Missbildungen oder
Persönlichkeitseigenschaften führen können. Andere Theorien sahen die
weibliche Eizelle als ernährend and passiv, während das Spermium alle
„Lebenskraft“ beisteuerte. Eine dritte Klasse von Theorien gestand
sowohl Ei als auch Spermium eine Rolle zu, die Beiträge der beiden
Zelltypen wurden jedoch als komplementär betrachtet. Weismanns Theorie
und ihre experimentelle Bestätigung räumten mit diesen Theorien auf,
doch sie überlebten mehrere Jahrzehnte in einem Bereich, in dem
progressive Politik eine Allianz mit positiver Eugenik einging, um eine
moderne Gesellschaft mit gesunden Bürgern zu schaffen.
Wichtig ist qualitativ hochwertige Pflege
In der Genetik häuften sich in den
zwanziger und dreißiger Jahren jedoch auch Fälle, die zeigten, dass bei
Weizen, Schnecken und Fruchtfliegen manche Eigenschaften nicht den
Mendelschen Vererbungsregeln folgen, sondern dass ein eindeutiger
„mütterlicher Effekt“ wirksam war – die Ausprägung eines Merkmals im
Nachwuchs wurde von der Merkmalsausprägung der Mutter bestimmt, nicht
von der Kombination mütterlicher und väterlicher Gene. Solche Phänomene
wurden zwischen 1940 und 1970 intensiv in der Tierzüchtung untersucht,
bevor amerikanische Humanmediziner sich für diese Thematik zu
interessieren begannen. Die anhaltenden Unterschiede in der
gesundheitlichen Verfassung von schwarzen und weißen Amerikanern wurden
manchmal soziologisch erklärt – vor allem durch die Prävalenz von
alleinerziehenden Müttern –, oder von Rassentheoretikern auf genetische
Unterschiede zurückgeführt.
Die Kinderärzte
Herbert Birch und Joan Gussow argumentierten 1970, dass über
Generationen akkumulierte Schäden, die durch mütterlichen Stress und
Mangelernährung hervorgerufen wurden, eine anhaltende Ungleichheit
festschrieben. Das Geburtsgewicht und der Intelligenzquotient waren
zunächst der Fokus dieser wissenschaftlichen Debatten. Mit der
Weiterentwicklung molekulargenetischer Methoden und der Erkenntnis,
dass Änderungen der Genfunktion ohne Änderungen der Gensequenz
weitervererbt werden können, erfuhr die Wissenschaft des „fetal
programming“ seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dann
einen enormen Aufschwung. Tausende von Wissenschaftlern beschäftigen
sich inzwischen mit der Frage, wie ein Stimulus oder eine schädliche
Einwirkung während einer kurzen sensitiven Periode in der fötalen
Entwicklung zu lebenslangen gesundheitlichen Folgen – Bluthochdruck,
Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen – führen kann.
Obwohl
dieses Forschungsprogramm sich distanziert vom genetischen
Determinismus und offen für soziale Erklärungsfaktoren ist, kritisiert
Sarah Richardson die Methodik und die Schlussfolgerungen von Arbeiten
zum fötalen Ursprung von Erkrankungen mit deutlichen Worten. Die
gefundenen statistischen Effekte sind meist sehr klein, und statistische
Störfaktoren oder Drittvariablen werden meist nicht oder nur ungenügend
berücksichtigt. Ebenso wird in den meisten Studien der väterliche
Einfluss nicht einbezogen. Eine Hypothese besagt, dass mütterliches
Übergewicht während der Schwangerschaft das Risiko für Übergewicht beim
Nachwuchs erhöht.
Untersuchungen
bestätigten zunächst diese Hypothese, doch eine detaillierte Analyse
zeigte, dass das Gewicht des Vaters eine größere Rolle spielt. Und keine
der umfangreichen Studien hat je zu irgendwelchen konkreten Maßnahmen
beigetragen, die die Gesundheit von Neugeborenen und ihren Müttern
verbesserten. Laut Richardson ist es klar, welche Maßnahme in den
Vereinigten Staaten das kurz- und langfristig wäre: der Zugang zu
Gesundheitszentren mit qualitativ hochwertiger Versorgung und Pflege.
Keine andere Maßnahme hat einen vergleichsweise großen Effekt auf vor-
und nachgeburtliche Sterblichkeit und auf die Gesundheit der Mütter. Die
Forschung zur intrauterinen fötalen Prägung richten den Blick hingegen
auf subtile Variationen in weitgehend normal verlaufenden
Schwangerschaften und vernachlässigt Risikofaktoren mit weit größerer
Wirkung, die allerdings oft sozio-ökonomischer Natur sind.
Richardsons
durch und durch überzeugendes Buch zeigt, wie ein anti-deterministisches
und anti-reduktionistisches Forschungsprogramm, wie es die Erforschung
der mütterlichen Prägung des Fötus ist, auf diese Weise dazu dienen
kann, von wirksamen gesundheitspolitischen Maßnahmen abzulenken. Es
zeigt, einmal mehr, die ideologische Komplexität moderner Wissenschaft.
Sarah S. Richardson: „The Maternal Imprint“. The Contested Science of Maternal-Fetal Effects. The University of Chicago Press. Chicago 2021. 376 S., geb., 89,– €.
Nota. - Die Annahme, "früher" habe es, weil die Wissenschaftler stets Männer waren, eine generelle Abwertung weiblicher Beiträge und Übertreibung des männlichen Antels gegeben, trifft zumindest auf diesem Feld nicht zu.
Sexualität »Penis-Vaginal-Sex, Masturbation, Oralsex – ist alles seltener« Weltweit
haben Menschen weniger Sex, egal ob sie Teenager oder 40-Jährige sind.
Inwiefern der Trend zum »Rough Sex« ein Grund sein könnte, was noch
denkbar ist und wie sich die Corona-Pandemie auf Beziehungen auswirkt,
erklären zwei Sexualforscherinnen im Interview. vonEmily Willingham
Menschen haben dieser Tage weniger Sex als noch vor einigen Jahren. Mit sich selbst oder mit anderen. Und unabhängig vom Alter. Darauf deutet auch eine Studie aus den USA hin, die am 19. November im Magazin »Archives of Sexual Behavior« veröffentlicht wurde.
Demnach stieg etwa der Anteil der Jugendlichen, die angaben, weder
allein noch mit Partnern sexuell aktiv zu sein, von 28,8 Prozent auf
44,2 Prozent bei jungen Männern und von 49,5 Prozent im Jahr 2009 auf
74 Prozent bei jungen Frauen zwischen 2009 und 2018.
Warum
das so ist, haben die Studienautorinnen zwar nicht untersucht. Doch ihre
langjährige Erfah-rung als Sexualpädagoginnen und Sexualforscherinnen
erlauben zwei von ihnen im Interview genauer zu erörtern, welche
Faktoren diese Veränderungen erklären könnten. Debby Herbenick,
Erstautorin der Studie und Tsung-chieh (Jane) Fu, Mitautorin, sprechen
unter anderem darüber, inwiefern asexuelle Identität und »Rough Sex«
sich darauf auswirken, wie oft Menschen Sex haben. Auch erklären sie,
wie Bezugspersonen Kindern in ihrer gesunden Sexualentwicklung helfen
können und inwiefern die Corona-Pandemie das Sexualverhalten beeinflusst.
»Scientific
American«: Von Untersuchungen aus anderen Teilen der Welt ist bereits
bekannt, das Menschen in Partnerschaften weniger Sex haben. Was tragen
Ihre jüngsten Ergebnisse zu dieser Erkenntnis Neues bei?
Debby Herbenick:
Sie erweitern die Forschung, weil Jane [Fu] und das Team das
Sexualverhalten wirklich detailliert verfolgt haben. Wir untersuchten Penis-Vaginal-Sex, Masturbation in der Partnerschaft sowie Oralsex und Oralverkehr –
alles findet seltener statt. Zudem haben wir Jugendliche einbezogen.
Auffällig ist, dass sich weniger von ihnen selbst befriedigen. Diesem
Thema sollte viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Wie lässt sich der Rückgang bei jungen Menschen erklären?
Tsung-chieh (Jane) Fu:
Wir brauchen mehr Studien, um die Gründe herauszufinden. Aber für junge
Menschen ersetzen zum Beispiel Computerspiele, die zunehmende Nutzung
sozialer Medien und Videospiele diese Zeit.
Herbenick:
Wir gehen davon aus, dass es mehr als eine Erklärung oder einen Grund
gibt. Je nach Altersgruppe, Partnerschaftsstatus und Geschlecht dürfte
es sich unterscheiden. Man braucht diese einzelnen Faktoren nicht, um
den Großteil zu erklären, aber jeder dieser Faktoren [könnte] für ein
oder zwei Prozentpunkte sorgen.
Inwiefern ist es womöglich relevant, dass immer mehr Menschen ihre Asexualität ausleben?
Herbenick:
Warum sich mehr Menschen als asexuell bezeichnen, ist nicht bekannt.
Aber ich denke, mehr Menschen dürften sich bewusst sein, dass es sich um
eine gültige Identität handelt. Als ich 2003 begann, Sexualität zu
unterrichten, hatte ich regelmäßig einen Schüler in meiner Klasse, der
sich als asexuell identifizieren konnte. Jetzt habe ich drei oder vier.
Das ist beeindruckend. Es ist toll, dass junge Menschen so viele
Möglichkeiten kennen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Für viele von
ihnen ist es in Ordnung, wenn sie sich gegen Sex entscheiden.
In Ihrem Artikel erwähnen Sie, dass die Zunahme von
»Rough Sex« möglicherweise zu dem Trend beiträgt. Können Sie erläutern,
was Sie damit meinen?
Herbenick:
Vor allem bei den 18- bis 29-Jährigen hat das zugenommen, was viele
Menschen als »raues Sexualverhalten« bezeichnen. Begrenzte
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es sich dabei früher um das
handelte, was ich als ziemlich banalen rauen Sex bezeichnen würde: an
den Haaren ziehen, ein bisschen Prügel.
Was wir jetzt in Studien
mit Tausenden von zufällig ausgewählten College-Studenten sehen, ist das
Würgen oder Würgen beim Sex. Dieses Verhalten scheint bei Studenten im
College-Alter in der Mehrheit zu sein. Für viele Menschen ist es
einvernehmlich und erwünscht, für viele aber auch beängstigend, selbst
wenn sie lernen, es zu genießen oder es zu wollen. Das ist ein wichtiger
Forschungsschwerpunkt unseres Teams: zu verstehen, wie sie sich fühlen,
welche gesundheitlichen Risiken bestehen und wie das in die allgemeine
sexuelle Landschaft passt.
Fu: Wir haben
festgestellt, dass sich diese Verhaltensweisen geändert haben. Wir
wissen nicht, inwieweit dies einige Menschen dazu bringt, sich zu
entscheiden, aber wir wissen, dass einige Menschen Angst haben und nicht
wissen, was sie von dem halten sollen, was ihnen präsentiert wird;
insbesondere junge Erwachsene. Wir sehen zahlreiche
geschlechtsspezifische Auswirkungen bei einer Vielzahl von
Verhaltensweisen für diverse nicht heterosexuelle Identitäten.
Bisexuelle Frauen sind beispielsweise viel häufiger von diesen
aggressiven Verhaltensweisen betroffen.
Herbenick: Wir haben versucht, auch das zu entwirren, weil aus unserer Forschung
nicht klar hervorgeht, wie oft die Praktiken erwünscht und angenehm oder
unerwünscht sind, weil bisexuelle Frauen auch häufiger über sexuelle
Viktimisierung berichten.
Wahrscheinlich gebe es mehrere
Gründe dafür, dass sich die sexuelle Ausdrucksweise der Menschen
verändert hat, schreiben Sie weiter …
Herbenick: In Studien aus aller Welt wurden unterschiedliche Erklärungen
vorgeschlagen, zum Beispiel der wirtschaftliche Status. Ein niedrigeres
Einkommen wird mit einem stärkeren Rückgang in Verbindung gebracht. Eine
Studie untersuchte die Nutzung von Computerspielen unter jungen
Menschen [als mögliche Erklärung]. Einige Leute haben den Rückgang des
Alkoholkonsums verfolgt, und wir wissen, dass [Alkoholkonsum] mit
Enthemmung verbunden sein kann. Wir haben einen gewissen Anstieg bei der
Nutzung von Sexspielzeug festgestellt – nach dem, was wir untersucht
haben, keine massive Zunahme. Ich erwarte nicht, dass es die Erklärung
dafür ist.
Was
möchten Sie Menschen raten, die dieses Interview lesen und sich fragen:
»Was soll ich mit diesen Informationen anfangen?« – vielleicht aus der
eigenen Perspektive, der ihres Partners oder ihren Partnern oder in
Gesprächen mit den Kindern?
Fu:
Für Eltern wäre es großartig, mit ihren Kindern offene Gespräche über
Sex zu führen. Vor allem mit Teenagern. Sex der vergangenen Jahre sieht
ganz anders aus als früher, sei es durch das Aufkommen neuer
Technologien oder neuer sexueller Verhaltensweisen. Wir hoffen, dass
Eltern ihre Kinder anleiten können, nicht nur, um sie vor den Risiken
verschiedener sexueller Verhaltensweisen zu warnen, sondern auch, um
ihnen beizubringen, wie man sinnvolle Beziehungen und schließlich
befriedigenden und lustvollen Sex haben kann.
Herbenick: Für viele von uns lohnt es sich, ein paar Fragen zu stellen: Wie fühle
ich mich mit meinem Sexualleben? Wie fühlt sich mein Partner? Fragen Sie
ihn! Manche Menschen schauen sich um und haben das Gefühl, dass die
sexuellen Interaktionen, die sie haben, angenehm, verbindend und
freudvoll sind und für sie ein befriedigendes Sexualleben darstellen.
Andere sehen sich vielleicht um und sagen: »Weißt du, vor 10 bis 15
Jahren, als wir noch nicht so viele lustige Sendungen im Fernsehen sehen
konnten, haben wir viel weniger ferngesehen und hatten dafür häufiger
Sex. Ich frage mich, wie wir öfter Sex haben könnten?
Wie überschneidet sich sexuelle Aktivität mit oder
ohne Partner mit anderen Aspekten der Gesundheit? Und wie sieht
»sexuelle Gesundheit« aus?
Herbenick:
Sexualität ist ein bedeutender Teil des Lebens. Zu verstehen, was sich
ändert, ist wichtig, um zu verstehen, was sich in der menschlichen
Erfahrung verändert. Wir wissen, dass sexuelle Aktivität den Menschen
helfen kann, sich zu entspannen, einzuschlafen, Stress abzubauen, sich
intim und verbunden zu fühlen und dadurch ihre Beziehungen zu
verbessern. Sie kann sogar dazu beitragen, ihr Immunsystem zu stärken.
Sex
kann aber auch einfach nur Spaß machen und Freude bereiten – eine
Möglichkeit, sich auf verletzliche Weise auszudrücken. Sexuelle
Gesundheit ist ein multidimensionales Phänomen, bei dem es nicht nur um
das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Infektionen oder
Krankheiten geht, sondern auch um das Potenzial für Vergnügen, den
Zugang zu korrekten Informationen über Sexualität, körperliche Autonomie
und die Möglichkeit, sexuelle Erfahrungen zu machen, die frei von
Gewalt oder Zwang sind.
Welche
Auswirkungen auf diese Verhaltensweisen sehen Sie bereits oder erwarten
Sie von der Pandemie, die in Ihrer Studie noch nicht erfasst wurde?
Fu:
Die Dinge verändern sich stark, wenn Menschen zu Hause sind. Die
Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, hat dazu geführt, dass einige
Partner, die eine Fernbeziehung führen, mehr Zeit miteinander
verbringen oder sogar zusammenleben können. Aber für Partner, die nicht
zusammen leben und nicht die Möglichkeit haben, von zu Hause aus zu
arbeiten, können Schwierigkeiten beim Reisen zu noch weniger gemeinsamer
Zeit führen.
Für diejenigen, die mit ihrem Partner zusammenleben, führt mehr
gemeinsam verbrachte Zeit zu Hause nicht unbedingt zu mehr und
befriedigenderem oder lustvollerem Sex. Eine Quarantäne, soziale
Distanzierung, finanzielle Schwierigkeiten, Arbeit von zu Hause aus –
all das kann zu Spannungen in der Beziehung führen. Der Verlust oder die
Instabilität der Kinderbetreuung auf Grund der Pandemie kann das Sexualleben derjenigen einschränken, die Eltern sind.
Herbenick:
Sicherlich haben Menschen, die nicht mit einem Partner zusammenleben,
in den vergangenen zwei Jahren mehr Einschränkungen beim Sex in der Partnerschaft
erfahren als andere. Wobei sich dies seit den Impfungen und
Auffrischungsimpfungen etwas entspannt haben dürfte. Aber unser
Sexualleben spielt sich nicht in einem Vakuum ab, es gibt also unzählige
Faktoren.
Die vergangenen zwei Jahre haben auch viel Trauer für
Menschen gebracht, die Familienmitglieder durch Covid verloren haben.
Viele Menschen haben mit einer langwierigen Covid-Erkrankung und damit
verbundenen gesundheitlichen Problemen, Arbeitsplatzverlust und
finanziellen Belastungen zu kämpfen. Und mehr Menschen aller
Altersgruppen haben seit der Pandemie mit Angstzuständen und
Depressionen zu kämpfen. All dies hat auch Auswirkungen auf das sexuelle
Interesse und den Sexualtrieb.
Nota. - Es ist jetzt rund ein Jahrhundert her, dass sich das paranoide Wahngebilde des Wiener Arztes Dr. Freud, genannt Psychoanalyse, als eine geistige Weltmacht etablierte. "Pansexua-lismus" sagten die Zeitgenossen: Im Grunde war alles, was nicht geradewegs fressen oder sau-fen war, sexuell bestimmt, was sich als was Besseres (oder auch nur Anderes) ausgab, war allenfalls Sublimierung; "im Grunde" ging immer alles nur um das Eine.
Uff. Die hundert Jahre sind um, und befreit können wir durchatmen: It's over. JE