Reden Frauen mehr als Männer? Ob
Männer oder Frauen im Alltag mehr reden, hängt stark von den jeweiligen
Umständen ab: Männer sind im Schnitt gesprächiger im Job, Frauen in der
Partnerschaft.
»Ein
Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch.« Hat der Volksmund mit
dieser Redensart Recht? Böse Zungen behaupten, ein Mann würde die Frage
mit einem knappen »Ja!« beantworten, eine Frau dagegen eher mit »Ja, auf
jeden Fall! Wenn ich nur an den einsilbigen David denke, meine
Schwester Marita dagegen, wenn die erst einmal loslegt …«
Spaß beiseite, die Vorstellung, dass
Frauen über ein deutlich größeres lexikalisches Tagesbudget verfügen als
Männer, ist weit verbreitet. So liest man etwa in
populärwissenschaftlichen Büchern häufig, Frauen sprächen pro Tag zirka
20 000 Wörter, Männer nur 7000. Solide empirische Daten, die diese
Angaben untermauern, sind allerdings kaum zu finden. Kein Wunder, denn
es ist methodisch alles andere als einfach, einen guten Schätzwert dafür
zu generieren, wie viel ein Mensch im Schnitt so spricht.
Dazu
müsste man schließlich in einer repräsentativen Stichprobe von Männern
und Frauen über einen repräsentativen Zeitraum hinweg alle Gespräche von
morgens bis abends aufzeichnen und die in den Audiotracks gesprochenen
Wörter zählen. Das Ganze müsste zudem so unauffällig gemacht werden,
dass die Teilnehmer ihre normalen Redegewohnheiten nicht ändern, weil
sie gerade unter Beobachtung stehen.
Im Jahr 2007 führten wir eine
große alltagsnahe Beobachtungsstudie durch, die erstmalig genau solch
einen empirischen Schätzwert ergab. Dazu trugen 396 Studierende –
210 Frauen und 186 Männer – mehrere Tage lang rund um die Uhr einen
portablen Audiorekorder bei sich, der fünfmal pro Stunde unbemerkt für
eine halbe Minute alle Geräusche im Umfeld der Probanden aufzeichnete.
Die
Auswertung dieser akustischen Tagebücher offenbarte erstens: Die
Gesprächigkeit von Frauen und Männern unterschied sich im Alltag nicht
nennenswert. Beide Geschlechter sprachen durchschnittlich rund
16 000 Wörter (für Männer lag der Wert bei exakt 15 669 und für Frauen
bei 16 215). Der weibliche Redevorsprung von 546 Wörtern ist statistisch
vollkommen unbedeutend.
Verblüffend war zweitens, wie groß die
Unterschiede im individuellen Redeschwall ausfielen – und zwar
unabhängig vom Geschlecht. Während der schweigsamste Proband der Studie
(ein Mann) am Tag kaum mehr als 800 Wörter sprach, kam der gesprächigste
(ebenfalls ein Mann) in der gleichen Zeit auf mehr als 47 000 Wörter.
In einer beinahe zeitgleich publizierten Metaanalyse, deren Autoren die
Befunde aus 70 Einzelstudien sichteten, hatten statistisch sogar die
Männer in Sachen Verbosität leicht die Nase vorn.
Somit steht fest: Laut der wissenschaftlichen Forschung
unterscheiden sich Individuen innerhalb eines Geschlechts wesentlich
stärker voneinander als die Geschlechter im Mittel.
Obwohl die
Befundlage hinsichtlich der »alltäglichen Geschwätzigkeit« also ziemlich
eindeutig ist – und dem Stereotyp klar widerspricht –, gibt es
vermutlich doch systematische Unterschiede in bestimmten kommunikativen
Kontexten. Männer bringen sich beispielsweise in beruflichen Meetings
oft stärker ein und haben in Gesprächen, bei denen es darum geht,
Durchsetzungskraft zu demonstrieren, oft größere Redeanteile. Frauen
hingegen sind im Erziehungskontext meist verbal aktiver und sprechen
Konfliktthemen in der Paarbeziehung häufiger an. In dieser Hinsicht
zeigen sich Männer tendenziell eher zurückhaltend.
Zusammenfassend
lässt sich also sagen: Männer und Frauen verfügen aus
sprachpsychologischer Sicht über ein weitgehend vergleichbares
lexikalisches Budget. Wann, wie und wofür sie es »ausgeben«, darin
unterscheiden sie sich allerdings durchaus.
Anne Milek leitet die Forschungsgruppe Paar- und
Familienpsychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
und untersucht die Kommunikation in Paarbeziehungen. Matthias Mehl ist Professor für Sozial- und
Persönlichkeitspsychologie an der University of Arizona. Er interessiert
sich für die Psychologie des Sozialverhaltens und der Alltagssprache.
Nota. -Wenn wir Männer sagen, Frauen plappern ohn' Unterlass, dann meinen wir natürlich nicht die schiere Zahl der geprochenen Wörter. Gemeint ist: Frauen reden viel zu viel über Dinge, die es gar nicht wert sind. Wenn wir Männer mal den Mund auftun, dann doch zu wichtigen Fragen, und von denen lassen wir uns auch so schnell nicht ablenken.
Untersuchen sollte man also, was Männer für wichtig halten, und was Frauen. Ich wette, der Unterschied, den man da findet, ist ganz und gar kein kleiner. Naheliegende Frage: Wer redet öfter von sich, wer öfter von Sachverhalten? JE
Macht Corona die Menschen konservativer? In
der Corona-Krise sprechen sich mehr Menschen für traditionelle
Rollenbilder und Werte aus. Ein Trend, der sich mit früheren
Erkenntnissen deckt.
Die
Welt steht kopf, und was gestern noch galt, stiftet heute oft eine
gewisse Verknotung im Kopf. So fühlen sich manche kürzlich noch
verbissen diskutierte Probleme gegenwärtig an, als seien sie dekadente
Erfindungen einer angeödeten Ge-sellschaft gewesen. Wenn etwa ein
männlicher Virologe statt einer Fachkollegin im Rampenlicht steht und
sich jemand nach Vor-Corona-Manier darüber echauffiert, erzeugt das kaum
mehr Resonanz - es geht momentan halt um akute Gefah-ren, da hat
Geschlechtererregung weniger Platz. Macht die Covid-19-Situation
Menschen also konservativer? Verändert die Pandemie
soziale Vorstellungen?
Mit dieser Frage haben die
Psychologen Daniel Rosenfeld und Janet Tomiyama von der University of
California in Los Angeles ihre Probanden konfrontiert und die Ergebnisse
nun auf dem PsyArXiv-Preprint-Server veröffentlicht. Die
Be-drohung durch das Sars-CoV-2-Virus sowie die damit verbundenen
Maßnahmen verstärkten in den Befragten die Zu-stimmung zu traditionellen
Geschlechterrollen und -stereotypen, zumindest in geringem Ausmaß. Das
galt für die Ein-stellungen von Männern und Frauen - und auch für die
Rollenerwartungen, die sowohl Männer wie auch Frauen an beide
Geschlechter richteten. Einen Einfluss auf die generelle politische
Haltung konnten die Psychologen in ihren Daten aber nicht feststellen.
Für ihre Studie hatten sie etwa 2000 Teilnehmer im Januar, im März und
teils ein drittes Mal Anfang April befragt.
Die Bedrohung durch einen Krankheitserreger übt starken sozialen Konformitätsdruck aus
"Sozial
konservative Haltungen gegenüber progressiven Ansichten zu bevorzugen,
spiegelt den Wunsch nach Stabilität wider", schreiben Rosenfeld und
Tomiyama. Das ist auf der einen Seite eine Plattitüde, jedoch handelt es
sich auf der anderen Seite um ein Bedürfnis, das durch externe
Bedrohungen wie etwa die Corona-Pandemie verstärkt wird. In der
Forschungsliteratur findet sich eine Vielzahl von Befunden, die dazu
passen. So verleiten politische Instabilität, Bedro-hung, aber auch sehr
rascher Wandel Menschen dazu, bestehende Systeme und Institutionen zu
verteidigen und zu rechtfertigen. Traditionelle Werte wie etwa
Rollenbilder erlangen in solchen Zeiten neuen Glanz, weil sie Sinn und
ein Gefühl von Stabilität stiften.
"Wenn die
Bedrohung einer sozialen Ordnung mit der Angst vor dem Tod einhergeht,
könnten konservative Werte in besonderem Maße an Attraktivität
gewinnen", sagen Rosenfeld und Tomiyama. Insofern sollte die
Corona-Krise kon-servative Einstellungen besonders befeuern. Dazu im
Kontrast stellten die Psychologen keine Verschiebung der gene-rellen
politischen Lagerzugehörigkeit ihrer Probanden fest: Die im Januar in
der Befragung von den Probanden formu-lierten grundsätzlichen Haltungen
blieben unverändert, wie die Folgebefragung zeigte.
Wie
aber passt dann die Verschiebung in den Einstellungen zu
Geschlechterrollen dazu? Bedrohung durch Krankheits-erreger sei ein
Faktor, der vor allem sozialen Konformitätsdruck ausübe, argumentieren
Rosenfeld und Tomiyama. Um eine Infektionskrankheit einzudämmen, müssen
eben alle mitziehen - Masken tragen, zu Hause bleiben, Hände waschen.
Wer da aus der Reihe tanzt und sich verweigert, muss mit heftiger Kritik
von anderen rechnen. Vielleicht, so lässt sich weiter spekulieren,
bewirkt dieser Druck auch, dass man sich wieder stärker an (gefühlten)
Rollenstereotypen orientiert. Oder aber, anderer Gedanke, in der
Corona-Krise machen sich Menschen weniger Gedanken über das zuvor so
erbittert debattierte Thema Geschlechterstereotype und geben einige
Ansichten wieder auf, die für sie ohnehin von geringer Be-deutung waren.
Nota. - Ich habe eine näher liegende Erklärung gefunden: Der schwesterliche Klamauk war gar kein Fortschritt, den es zu verteidigen gälte. Sobald man Ernsteres zu bedenken hat, geht man mühelos darüber hinweg. Sogar Fußball kann warten. Mit gesellschaftspolitischen Grundüberzeugungen hat es gar nichts zu tun. JE