Donnerstag, 19. November 2015

Gut Ding will Weile haben: Jungens hinken hinterher.

Robert Doisneau
aus Süddeutsche.de, 23. September 2015

Zweierlei Hirn
In den sprachlichen Fächern sind Mädchen den Jungen in der Schule meist deutlich überlegen. Eine Studie zeigt nun, woran das liegt - die für Lesen und Sprachenerwerb wichtigen Bereiche im Gehirn entwickeln sich demnach bei Schülerinnen früher.

Von Matthias Kohlmaier

Erst wurden sie ignoriert, dann gefördert, mittlerweile machen sie meist bessere Abschlüsse als ihre männlichen Altersgenossen: Die schulischen Leistungen von Mädchen bieten kaum mehr Anlass zur Sorge. Doch gerade ihre Vorteile gegenüber Jungen in den sprachlichen Fächern haben womöglich nicht nur mit Förderung zu tun, wie der Forscher Heiner Böttger von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt nun in einer noch unveröffentlichten Studie zeigt. Auszüge liegen der Süddeutschen Zeitung vor.

"Jungs haben keinen biologischen Nachteil, Mädchen entwickeln sich nur schneller", sagt Böttger über seine Forschung zum Sprachenerwerb von Kindern und Jugendlichen. Für seine Erhebung hat er die Hirnaktivität bei Vier- bis Neunjährigen bei Leseaufgaben gemessen. Ergebnis: Im besagten Alter entwickeln sich die für Lesen (und Schreiben) zuständigen Gehirnzellen hormonell unterschiedlich, bei Mädchen viel früher als bei Jungs. "Der Vorsprung der Mädchen kann bis zu drei Jahre betragen", so Böttger.

Wichtig dabei ist die sogenannte Myelinschicht, die sich etwa bis zum 30. Lebensjahr um die Nervenfasern im Gehirn bildet. Je weiter diese Ummantelung entwickelt ist, desto höher die Leitungsgeschwindigkeit zwischen den Zellen. Das gilt auch für lange Nervenbahnen, zuständig für Schreiben und Lesen. Böttger hat herausgefunden, dass der Myelinisierungsgrad bei allen getesteten Mädchen höher war als bei Jungen. Für ihn beweist das, was in Grundschulen Alltag ist: "Mädchen lesen früher besser, da sie früher über entsprechende biologische Dispositionen verfügen."

Ein OECD-Bericht zu Geschlechterunterschieden in der Bildung hatte im vergangenen März auch ein deutliches Hinterherhinken von männlichen Schülern beim Lesen ausgemacht. "Das Lesevermögen ist das Fundament, auf dem fast der gesamte weitere Lernerfolg gründet", schreibt die OECD, "wenn Jungen schlecht lesen, leidet auch ihre Leistung in allen anderen Schulfächern." Ähnliche Folgerungen zieht der Didaktiker Heiner Böttger. Zwar nivelliere sich der neuronale Unterschied zwischen Mädchen und Jungen bis zum Alter von ungefähr 17 Jahren - das gelte aber nur, wenn Jungen nicht vorher schon wegen ihrer schwächeren Leistungen in sprachlichen Fächern stigmatisiert würden.

"Wir dürfen die Mädchen nicht kleinhalten"

"Lehrer müssen geschult werden, damit Jungs im Sprachenunterricht nicht frühzeitig zurückfallen", sagt Böttger. Daher müsse die Information über physiologische Unterschiede zwischen Geschlechtern in der Lehrerbildung vorkommen.

Die Studie zeigt nicht nur, dass Jungen im Vor- und Grundschulalter speziell gefördert werden müssten, um sprachlich mitzuhalten. Sie deutet auch darauf hin, dass Mädchen mehr leisten könnten, wenn sie mehr gefordert würden. Trotz der "Jungen-Krise" sagt Böttger: "Wir dürfen die Mädchen nicht kleinhalten." Er befürchtet "Decken-Effekte", wenn Mädchen im jungen Alter im gleichen Tempo wie männliche Klassenkameraden unterrichtet werden - obwohl sie aufgrund ihres bereits weiter entwickelten Gehirns viel mehr Möglichkeiten hätten.

Birgit Gegier Steiners Buch „Artgerechte Haltung. Es ist Zeit für eine jungengerechte Erziehung“ ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen.


Nota. - Die Schule ist nicht zuletzt deshalb ein unnatürliches Labor, weil dort Wörter, Begriffe, Reden einen viel größeren Platz einnehmen als im 'wirklichen Leben', wo es in erster Linie auf tun ankommt; nämlich wo alles mit rechten Dingen zugeht. Es ist das Prinzip Schule, das Jungens von vornherein biologisch benachteiligt. Nicht nur darf man nur dann reden, wenn man gefragt wird, sondern man muss es auch. Und dabei stillsitzen. Das war immer so und keinEr hat es je beanstandet; keinEr von den PädagogInnen, meine ich.

Wenn nun endlich mal eineR den Kopf hebt und für die Anliegen der Jungen das Wort ergreift, muss er sich sogleich beeilen, die politisch korrekte Mahnung beizugeben, man dürfe aber... die Mädchen nicht kleinhalten. Nehmen wir's gelassen: Besser so als gar nicht.
JE 


Donnerstag, 12. November 2015

„Unsere Schule schadet den Jungs.“

Lothar Sauer


In der FAZ vom 9. 11. interviewt Lydia Rosenfelder die Lehrerin Birgit Geier Steiner zu ihrem Buch Artgerechte Haltung. Es ist Zeit für eine jungengerechte Erziehung.*

Unsere Schule schadet den Jungs, findet Birgit Gegier Steiner. Still sitzen ist nix für richtige Kerle, es muss im Unterricht mehr getobt werden. Eine junge Kollegin habe sie seinerzeit darauf gebracht.

Sie machte im Unterricht ein Wörterwettspiel zwischen Jungen und Mädchen. Die Mädchen blieben auf ihren Stühlen sitzen, tauschten sich aus und reichten die Information an ihre Vertreterin weiter. Aber die Jungs hielt es nicht auf den Stühlen. Einer kletterte auf den Tisch und engagierte sich lautstark, einer lag bäuchlings auf dem Tisch und streckte den Arm wie einen Pfeil nach vorne. Die Mädchen suchten den kommunikativen Austausch, um ans Ziel zu kommen. Die Jungen wollten schneller und besser sein, wollten den Wettbewerb. Im Moment ist aber das personifizierte, individuelle Lernen in Mode. Die Schüler sitzen fast nur über ihren Arbeitsblättern. Sie sollen über sich selbst reflektieren und herausfinden: Wie werde ich besser? Aber Jungs wollen durch Berühren lernen, durch Technik und Handeln. Sie erkunden ihre Umwelt mit allen Sinnen. Das unterbinden wir in der Schule. Unsere Bildungspläne sind sehr schreib- und sprachlastig geworden, alles läuft über Literatur und Textverständnis. Die Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften, das Experimentieren und Ausprobieren kommen zu kurz. Das ist zum Schaden der Jungs.


Sie meinen, dass wir seit 1968 vor allem die Mädchen fördern. War die konservative Erziehung davor denn mehr im Sinne der Jungen? 


Ja. Es herrschte ein anderer Charakter von Disziplin. Ich selbst saß noch in einem Klassenzimmer mit vierzig Kindern. Da war Ruhe. Die Inhalte waren in Grundschulbereich kaum anders als heute. Aber es gab klare Strukturen, Regeln wurden stringenter durchgehalten. Und die Männer als Lehrer waren präsenter. 


Ist es entscheidend, ob die Lehrer männlich oder weiblich sind?

Wenn wir Frauen uns in einen Jungen hineinversetzen, ihn so akzeptieren, wie er ist, dann können wir ihn genauso gut unterstützen wie ein Mann.

Ich höre an Ihrer Antwort heraus, dass Sie meinen, dass viele Frauen Jungs nicht akzeptieren.
 

Ich beobachte an anderen Frauen und auch an mir selbst eine Tendenz, das Gegenüber verändern zu wollen. Eigene Werte und Einstellungen auf den anderen überzustülpen. Auch bei ganz banalen Dingen im Haushalt ertappe ich mich selber dabei. Ich versuche, meinem Mann vorzuschreiben, wie er den Keller einzuräumen hat oder wo die Schuhe hinzustellen sind. Umgekehrt habe ich noch nie den Versuch gespürt, dass ein Mann mich verändern will. Man hat mich so akzeptiert.

Wie erklären Sie sich das? 

Wir Frauen waren biologisch schon immer dafür da, die erste Erziehungsarbeit zu übernehmen. Das weibliche Wesen hat den Nesthocker noch bei sich und muss ihn auf die Welt vorbereiten. Das ist so in uns drin, dass wir es auf andere Menschen übertragen wollen.



Eine Kollegin von Ihnen stellt sich einen Wecker, der alle fünfzehn Minuten klingelt. Dann schickt sie ihren ADHS-Schüler los und lässt ihn zweimal um das Schulgebäude rennen. Danach setzt er sich wieder hin und arbeitet weiter. Das finde ich toll. 

Und es ist so einfach. Wenn Jungen ihren Bewegungsdrang ausleben dürften, hätten wir weniger ADHS-Diagnosen. Und physische Aktivität ist eng mit dem Lernerfolg verknüpft.


Sie berufen sich auf Untersuchungen, dass Jungen auf dem Pausenhof einen viel größeren Erkundungsradius haben. Mädchen erlauben sich seltener Ausbrüche. Woran liegt das?


Wieder an der Biologie. Das Testosteron hat einen starken Einfluss auf Aktivität und Verhalten, auf Wettstreitlust und Risikobereitschaft. Es ist ein Aktivator, der die Jungs vorantreibt. Auf den Pausenhöfen haben sie ihren Freiraum, wo sie Gas geben können. Und dann tun sie es auch. Sie laufen um die Wette, sie machen Fangspiele.

Sie sagen, Jungen brauchen einerseits mehr Freiraum und andererseits starke Führung. Ist das nicht ein Widerspruch? 

Es wäre gefährlich für einen Jungen, wenn er grundsätzlich Grenzen überschreiten und jedes Risiko eingehen darf. Also verlangt er intuitiv danach, dass es jemanden gibt, der ihm Grenzen setzt. Wenn jemand sagt, stopp, dann stoppt der Knabe auch.

Sie plädieren für einen fußballdidaktischen Ansatz. Was ist das? 

Man muss respektieren, dass Jungs einen hohen Bewegungsdrang haben, aber klare Strukturen brauchen. Und dass die meisten Jungs Teamplayer sind. Jeder hat seine Stellung. Mein fußballdidaktischer Ansatz bedeutet, dass jeder seine Individualität ausleben darf und wachsen kann, aber trotzdem eine Zugehörigkeit verspürt. Das sind die Werte aus dem Fußball: körperliche Anstrengung und Freiheit einerseits, Regeln und Rituale, die Stabilität geben andererseits. Schiedsrichter und Trainer, die Führung personifizieren. Respekt voreinander und vor dem Gegner. Und hinterher erntet man Anerkennung.

Wie passt das mit in unserer postautoritären Gesellschaft zusammen? 


Es passt nicht mehr zusammen. Seit dem Ende der Sechziger hat sich ein starker Liberalismus entwickelt, in allen Bereichen, auch in der Politik. Was ja auch gut ist. Ich bin für einen liberalen Staat. Aber diese Dinge spiegeln sich auch in der Erziehung wider. Eltern neigen dazu, Kinder auf dieselbe Stufe zu stellen wie sich. Als Partner auf Augenhöhe. Und Dinge mit ihnen auszudiskutieren, so wie das unter Erwachsenen funktioniert. Dass sie ihre Kinder dabei psychisch komplett überfordern, wissen sie meist nicht.


*

Es ist ja schonmal löblich, wenn eine Pädagogin sagt, Jungens sind nunmal so, und dann muss man sie lassen; "annehmen, wie sie sind". Aber es ist noch nichtmal die Hälfte, sondern erst der Anfang des Gebotenen. Denn es ist nicht nur so, wie es ist, sondern das ist auch gut so. Es ist nämlich der spezifische Beitrag des Männlichen zur Gattungsgeschichte der Spezies Mensch. Er war es nicht nur, er ist es immer noch und soll es bleiben.

Und wenn die Lila Pudel unter den ErzieheRN sich soweit dem biologisch Weiblichen angeähnelt haben, dass nun auch sie den Andern ändern wollen, dann sind sie falsch an ihrem Platz. Denn eins hat Frau Steiner in ihrer biologischen Sichtweise missverstanden. Es reicht nicht aus, die Jungens sein zu lassen, wie sie sind, sondern man muss sie ermutigen, ermuntern, verlocken, so zu werden, wie sie sein wollen. Denn anfangs sind sie noch klein, und viele trauen sich nicht richtig; und wenn sie sich dann schließlich doch ermannen, schießen sie gelegentlich auch übers Ziel hinaus. Wenn sie dann nur auf die Nase fallen, ist das nicht schlimm. Aber von dem, der sie zum Gasgeben angestachelt hat, dürfen sie erwarten, dass er eine schüt-zende Hand über sie hält und im Ernstfall für sie gradesteht.

Damit hat sich auch das Geraune über die Vorzüge des autoritären Stils erledigt. Denn die Autorität, von der hier die Rede ist, hat, bevor sie Stopp! gerufen hat, das Feuer selber angeblasen. Anders bliebe sie nicht lange Autorität, sondern würde höchstens autoritär, und das ist nur was für angehende lila Pudel. Merke:Männer sind dann präsenter, wenn sie als Männer präsenter sind.



*) Birgit Gegier Steiners Buch „Artgerechte Haltung. Es ist Zeit für eine jungengerechte Erziehung“ ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen.