Helferinnen der SS posieren 1944 mit SS-Obersturmführer Karl-Friedrich Höcker beim Erholungsheim Solahütte unweit des Vernichtungslagers Auschwitz.
aus Tagesspiegel.de, 26. 2. 2015
Hitlers willige Helferinnen
Von Wendy Lower
Zu den Mythen der Nachkriegszeit gehört der von der unpolitischen Frau. Nach dem Krieg sagten viele Frauen vor Gericht aus – oder erklärten in oral histories – , dass sie nur Büroangelegenheiten erledigt oder sich um die sozialen Aspekte des Alltagslebens gekümmert hätten. Sprich: um die Pflege oder um die Pflichten anderer, im Osten stationierter Deutscher.
Fast schien es, als hätten Frauen im NS-Männerstaat keine aktive Rolle gespielt – so wie das 1936 von Adolf Hitler vorgegebene Frauenbild sie an Heim und Herd verbannte. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie Irma Grese, der „SS-Megäre“ aus Bergen-Belsen und „Hyäne von Auschwitz“, oder von Hermine Braunsteiner, der „Stute“ von Majdanek.
Diese auch in der Forschung verbreiteten Porträts aber waren Karikaturen, oftmals pornografisch verzerrt. Die starke Fokussierung auf die schlimmsten KZ-Aufseherinnen hat lange eine nuancierte Diskussion über die Beteiligung und das schuldhafte Verhalten von Frauen an den Verbrechen der NS-Zeit verhindert.
Bergen Belsen, 1945. KZ-Aufseherin Irma Grese (Mitte) wurde von einem britischen Militärgericht verurteilt und hingerichtet.
Dabei waren schon in den Prozessen der Nachkriegszeit Hunderte von Frauen als Zeuginnen geladen. Viele von ihnen waren höchst auskunftsfreudig. Die Strafverfolger interessierten sich indes in erster Linie für die Verbrechen ihrer männlichen Kollegen und Ehemänner. Ihre eigene Beteiligung wurde nicht hinterfragt. Viele wirkten bei ihren Schilderungen dessen, was sie gesehen und erlebt hatten, erstaunlich gleichgültig. So sprach eine ehemalige Kindergärtnerin von dieser „Judensache während des Zweiten Weltkrieges“. Als sie und ihre Kolleginnen 1942 die Grenze Deutschlands zu den besetzten Gebieten im Osten überquerten, habe ein NS-Beamter ihnen versichert, sie müssten keine Angst haben, wenn sie Gewehrfeuer hörten. Da würden „lediglich ein paar Juden erschossen“.
Erna Petri sprach von dem Wunsch, sich gegenüber den Männern zu profilieren
Wenn die Erschießung von Juden kein Grund zur Aufregung sein sollte, wie reagierten die Frauen, als sie auf ihrem Posten eintrafen? Schauten sie weg, wollten sie mehr sehen oder tun? Unzählige Quellen, Akten und Prozessunterlagen lassen darauf schließen, dass hunderttausende deutscher Frauen in die von den Nazis besetzten Gebiete in Osteuropa gingen: im Sozialbereich, als Sekretärinnen, Übersetzerinnen und Rotkreuzschwestern. Dort waren sie ein integraler Bestandteil von Hitlers Vernichtungsmaschinerie.
Ein Fall ist der von Erna Petri. Im United States Holocaust Memorial Museum finden sich auch Akten der früheren DDR-Staatssicherheit. Darunter sind die Vernehmungs- und Prozessprotokolle des Gerichtsverfahrens gegen Erna Petri und ihren Mann Horst, denen man vorwarf, auf ihrem Privatgrundstück im besetzten Polen Juden erschossen zu haben. Glaubhaft detailliert schilderte Erna Petri, wie die halb nackten jüdischen Jungen wimmerten, als sie ihre Pistole zückte. Als der Vernehmungsbeamte fragte, wie sie als Mutter diese Kinder habe ermorden können, sprach Petri vom Antisemitismus des Regimes und ihrem eigenen Wunsch, sich gegenüber den Männern zu profilieren.
Die Frauenfrage wurde im Nationalsozialismus neu gestellt
Hier hatte keine gesellschaftliche Außenseiterin gemordet. Erna Petri war eine ganz gewöhnliche Vertreterin einer verlorenen Generation deutscher Frauen, der Babyboomer nach dem Ersten Weltkrieg. Geboren Anfang der 1920er Jahre, wurden sie in den 30ern erwachsen. Sie wuchsen inmitten der der Unsicherheit einer galoppierenden Inflation sowie mit den verwirrenden Perspektiven der Moderne auf.
In Hitlers faschistischer Diktatur reiften sie zu einer Gründergeneration von Idealistinnen, Karrieristinnen und Revolutionärinnen des Dritten Reichs heran.
Die „Frauenfrage“ wurde in der NS-Zeit nicht beiseitegeschoben, sondern neu gestellt. Das Private wurde politisch. Der Zugriff der Bewegung reichte bis ins traute Heim: Frauen und Mädchen holte man zu öffentlichen Versammlungen und Paraden auf die Straße, sie wurden zu Arbeitseinsätzen aufs Land geschickt, sie wurden zu Marschierübungen, Hauswirtschaftskursen und medizinischen Untersuchungen und Fahnenappellen versammelt. In ihren Memoiren und in Gesprächen erzählten viele von ihren Ambitionen: „Ich wollte etwas werden“, „ich wollte mehr“ – Aussagen, die sich so oder so ähnlich immer wieder finden.
Nota. - Es ist nicht richtig, den Nationalsozialismus einfach faschischtisch zu nennen. Das ist ein Verharmlosung.
JE
Samstag, 28. Februar 2015
Sonntag, 22. Februar 2015
Zuführen: nicht nur Sache des Vaters.
aus nzz.ch, 20. 2. 2015
Trennungskinder
Nicht nur Sache der Väter
Seraina Kobler
Wer holt, wer bringt das Kind? Diese Frage sorgt bei getrennten Paaren nicht selten für Diskussionen. Laut Lehrmeinung ist im Streitfall der Vater für beide Wege zuständig. Nun hat einGericht im Kanton Luzern ein gegenteiliges Urteil gefällt.
Sofern nicht anders vereinbart, ist es in der Schweiz Sache des Vaters, das Kind für den Besuch bei ihm zu holen und wieder zur Mutter zu bringen. Dies ist nicht unbedingt gerecht, wird aber an den meisten Gerichten so gehandhabt. Für manche Eltern ist die Übergabe ein grosser emotionaler Stress, der sich im besseren Fall in verlegenen Floskeln äussert, im schlechteren in einen handfesten Streit ausufert.
Loyalitätskonflikte vermeiden
Konfliktanfällig ist die Übergabe oft auch, weil sie die einzige Situation ist, in der sich die Eltern noch sehen. Dabei wird, meist begleitet durch ein quengelndes Kind, alles Notwendige besprochen. Missverständnisse sind dadurch vorprogrammiert, Streit fast unausweichlich. Das Kind hingegen fühlt sich nicht selten wie ein Paket hin und her geschoben.
Der Weg allein war, falls die Eltern nicht sehr nahe beieinander wohnen, sowieso schon anstrengend: Tram oder Autofahren, umsteigen und laufen, alles immer mit dem ganzen Gepäck. Hinzu kommen der Abschied und die Umstellung vom einen Elternteil auf den andern. Ein Urteil, welches Ende letzten Jahres in Kraft getreten ist, vertritt eine andere Haltung. Der Vater hatte zuvor gegen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) prozessiert. Nachdem die Kindsmutter 2011 in einen anderen Kanton gezogen war, wurde festgelegt, dass «die Zuführung des Kindes durch die Eltern wechselweise zu erfolgen habe».
Im Sommer des letzten Jahres entschied die Kesb dann, dass der Vater beide Wege zu bewerkstelligen habe. Begründung erfolgte keine. Nachforschungen ergaben, dass die Kesb einzig die Kindsmutter angefragt hatte, wie die Übergabe zu erfolgen habe; der Vater wurde nicht befragt. Daraufhin ergriff er die Rechtsmittel. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom letzten November gab ihm dann auch recht. Es vertritt die Meinung, «dass die Übergänge vom einen Elternteil zum anderen bei jüngeren Kindern idealerweise so erfolgen, dass der sorgeberechtigte Elternteil das Kind zum Besuchswochenende bringt und das Kind danach vom anderen Elternteil wieder zurückgebracht wird». Bei der Übergabe sollten sich die Erwachsenen kurz austauschen und dann verabschieden. Durch ein solches Vorgehen signalisierten beide, dass sie «mit der getroffenen Regelung einverstanden sind und diese unterstützen».
Das Gericht beruft sich auf kinderpsychologische Erkenntnisse, wonach es hilfreich sei, wenn bei der Ausübung des Besuchs jeweils ein Elternteil das Kind zum anderen bringe. Erschwere die obhutsberechtigte Person, wie im vorliegenden Fall, durch einen Wegzug mit dem Kind nicht nur die Ausübung des Besuchsrechts, sondern entstünden erhebliche Mehrkosten, seien diese entsprechend auf beide Elternteile zu verteilen. Kinderpsychologen betonen schon lange die Wichtigkeit der Übergaben, welche viele Kinder in einen Loyalitätskonflikt drängen. Um dies zu vermeiden, sei es wichtig, dass der obhutsberechtigte Elternteil zeige, dass er mit dem Besuch und der mit dem anderen Elternteil verbrachten Zeit einverstanden sei. Wird das Kind von ihm gebracht und vielleicht noch beim Packen der Tasche unterstützt, so vereinfache dies den Übergang enorm.
Alte Faustregeln hinterfragen
Die Rechte der Kinder auf den Kontakt zum getrennten Elternteil hängen stark von der gesellschaftlichen Anschauung ab. Mit der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts zeigt sich der Wandel der Familienbilder auch im Gesetz.
In einem Essay zu ungeklärten Praxisfragen schreibt der Zürcher Rechtsanwalt Beda Meyer Löhrer: «Noch wird aber in der juristischen Praxis an den Gerichten mit den einseitigen Obhutszuteilungen und Besuchsrechten den Müttern der Vorrang gegeben.» Dies in der Annahme, dass ein Kind im Streitfall nur eine Bezugsperson brauche. Diese Annahmen seien aber mittlerweile wissenschaftlich überholt. Das sogenannte Wechselmodell, bei dem Scheidungskinder zwei Wohnsitze hätten, sei auch dann dem Kindswohl zuträglicher, wenn das Konfliktniveau der Eltern erheblich sei. Es bleibe abzuwarten, ob die Gerichte in der Schweiz die Gesetzesänderungen zum Anlass nähmen, die alten Faustregeln kritisch zu hinterfragen. Denn viele halten den neuen Erkenntnissen nicht mehr stand.
Nota. - Wie sehr auch die NZZ selber dem überkommenen Schema verpflichtet ist, erkennen Sie daran, dass in diesem Artikel ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mutter der Elternteil ist, dem das Sorgerecht zugesprochen wird.
JE
Trennungskinder
Nicht nur Sache der Väter
Seraina Kobler
Wer holt, wer bringt das Kind? Diese Frage sorgt bei getrennten Paaren nicht selten für Diskussionen. Laut Lehrmeinung ist im Streitfall der Vater für beide Wege zuständig. Nun hat einGericht im Kanton Luzern ein gegenteiliges Urteil gefällt.
Sofern nicht anders vereinbart, ist es in der Schweiz Sache des Vaters, das Kind für den Besuch bei ihm zu holen und wieder zur Mutter zu bringen. Dies ist nicht unbedingt gerecht, wird aber an den meisten Gerichten so gehandhabt. Für manche Eltern ist die Übergabe ein grosser emotionaler Stress, der sich im besseren Fall in verlegenen Floskeln äussert, im schlechteren in einen handfesten Streit ausufert.
Loyalitätskonflikte vermeiden
Konfliktanfällig ist die Übergabe oft auch, weil sie die einzige Situation ist, in der sich die Eltern noch sehen. Dabei wird, meist begleitet durch ein quengelndes Kind, alles Notwendige besprochen. Missverständnisse sind dadurch vorprogrammiert, Streit fast unausweichlich. Das Kind hingegen fühlt sich nicht selten wie ein Paket hin und her geschoben.
Der Weg allein war, falls die Eltern nicht sehr nahe beieinander wohnen, sowieso schon anstrengend: Tram oder Autofahren, umsteigen und laufen, alles immer mit dem ganzen Gepäck. Hinzu kommen der Abschied und die Umstellung vom einen Elternteil auf den andern. Ein Urteil, welches Ende letzten Jahres in Kraft getreten ist, vertritt eine andere Haltung. Der Vater hatte zuvor gegen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) prozessiert. Nachdem die Kindsmutter 2011 in einen anderen Kanton gezogen war, wurde festgelegt, dass «die Zuführung des Kindes durch die Eltern wechselweise zu erfolgen habe».
Im Sommer des letzten Jahres entschied die Kesb dann, dass der Vater beide Wege zu bewerkstelligen habe. Begründung erfolgte keine. Nachforschungen ergaben, dass die Kesb einzig die Kindsmutter angefragt hatte, wie die Übergabe zu erfolgen habe; der Vater wurde nicht befragt. Daraufhin ergriff er die Rechtsmittel. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom letzten November gab ihm dann auch recht. Es vertritt die Meinung, «dass die Übergänge vom einen Elternteil zum anderen bei jüngeren Kindern idealerweise so erfolgen, dass der sorgeberechtigte Elternteil das Kind zum Besuchswochenende bringt und das Kind danach vom anderen Elternteil wieder zurückgebracht wird». Bei der Übergabe sollten sich die Erwachsenen kurz austauschen und dann verabschieden. Durch ein solches Vorgehen signalisierten beide, dass sie «mit der getroffenen Regelung einverstanden sind und diese unterstützen».
Das Gericht beruft sich auf kinderpsychologische Erkenntnisse, wonach es hilfreich sei, wenn bei der Ausübung des Besuchs jeweils ein Elternteil das Kind zum anderen bringe. Erschwere die obhutsberechtigte Person, wie im vorliegenden Fall, durch einen Wegzug mit dem Kind nicht nur die Ausübung des Besuchsrechts, sondern entstünden erhebliche Mehrkosten, seien diese entsprechend auf beide Elternteile zu verteilen. Kinderpsychologen betonen schon lange die Wichtigkeit der Übergaben, welche viele Kinder in einen Loyalitätskonflikt drängen. Um dies zu vermeiden, sei es wichtig, dass der obhutsberechtigte Elternteil zeige, dass er mit dem Besuch und der mit dem anderen Elternteil verbrachten Zeit einverstanden sei. Wird das Kind von ihm gebracht und vielleicht noch beim Packen der Tasche unterstützt, so vereinfache dies den Übergang enorm.
Alte Faustregeln hinterfragen
Die Rechte der Kinder auf den Kontakt zum getrennten Elternteil hängen stark von der gesellschaftlichen Anschauung ab. Mit der Einführung des gemeinsamen Sorgerechts zeigt sich der Wandel der Familienbilder auch im Gesetz.
In einem Essay zu ungeklärten Praxisfragen schreibt der Zürcher Rechtsanwalt Beda Meyer Löhrer: «Noch wird aber in der juristischen Praxis an den Gerichten mit den einseitigen Obhutszuteilungen und Besuchsrechten den Müttern der Vorrang gegeben.» Dies in der Annahme, dass ein Kind im Streitfall nur eine Bezugsperson brauche. Diese Annahmen seien aber mittlerweile wissenschaftlich überholt. Das sogenannte Wechselmodell, bei dem Scheidungskinder zwei Wohnsitze hätten, sei auch dann dem Kindswohl zuträglicher, wenn das Konfliktniveau der Eltern erheblich sei. Es bleibe abzuwarten, ob die Gerichte in der Schweiz die Gesetzesänderungen zum Anlass nähmen, die alten Faustregeln kritisch zu hinterfragen. Denn viele halten den neuen Erkenntnissen nicht mehr stand.
Nota. - Wie sehr auch die NZZ selber dem überkommenen Schema verpflichtet ist, erkennen Sie daran, dass in diesem Artikel ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mutter der Elternteil ist, dem das Sorgerecht zugesprochen wird.
JE
Mittwoch, 18. Februar 2015
Das Risikogeschlecht.
aus nzz.ch, 18. 2. 2015
Risiko für Erbkrankheiten
Mutationen in den Keimzellen von Teenager-Vätern
(dpa) ⋅ Teenager-Väter geben laut einer Studie häufiger durch Mutationen belastetes Erbgut an ihre Kinder weiter als Zwanzig- bis Dreissigjährige. Dies könnte erklären, warum Kinder pubertierender Väter ein ähnlich hohes Risiko wie die Nachkommen von 35-jährigen Erzeugern für genetisch bedingte Krankheiten haben, etwa für Schizophrenie oder offenen Rücken (Spina bifida).
Dies glaubt zumindest der deutsch-britische Forscher Peter Forster. Er und seine Kollegen von den Universitäten in Münster, Salzburg und Cambridge in England haben 24 000 DNA-Proben von Eltern und deren Kindern aus Europa, dem Nahen Osten und Afrika untersucht. Das Ergebnis veröffentlichen sie im Journal «Royal Society Proceedings».
Wie weitreichend die Ergebnisse sind, ist allerdings umstritten. Nach Ansicht des Humangenetikers Jörg Epplen von der Ruhr-Universität Bochum sind die Befunde noch kein Beweis für den Zusammenhang zwischen den Mutationen und einem Krankheitsrisiko. Die Studienautoren hätten «stumme» Genom-Teile unter die Lupe genommen, die nach bisherigem Wissen keine Bedeutung für Eigenschaften oder weitergegebene Krankheiten der Nachkommen hätten.
Bisher war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass ein jüngerer Erzeuger seltener Erbkrankheiten überträgt als ein älterer. Der Grund: Die Keimzellen eines Mannes reproduzieren sich zeit seines Lebens. In diesem fortwährenden Teilungsprozess kann es bei jeder Kopie zu neuen Genveränderungen kommen. So steigt die Mutationslast in den Keimzellen der Männer mit ihrem Alter. Wie Forster und seine Kollegen nun jedoch festgestellt haben, sind Spermien ganz junger Väter eine Ausnahme.
Kinder von Teenager-Vätern (12 bis 19 Jahre) wiesen demnach in ihrem Erbgut etwa 30 Prozent mehr sogenannte De-novo-Mutationen auf als Kinder von 20 bis 30 Jahre alten Vätern. Das sind Veränderungen der DNA, die in den Keimzellen – also in den Eizellen oder Spermien – entstehen und die sich somit erst nach der Befruchtung bei den Kindern manifestieren. «Wir halten es für möglich, dass der Apparat, der Spermazellen produziert, zu Beginn der Pubertät noch nicht ganz justiert ist und zunächst mit hoher Fehlerquote arbeitet», sagte Forster.
Noch ein Ergebnis überraschte das Team: Zu Beginn der Fortpflanzungsfähigkeit ist die Mutationslast in den Keimzellen von Jungen sechs Mal so hoch wie in denen der Mädchen. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine männliche Keimzelle vor der Fruchtbarkeit wesentlich mehr Teilungsprozesse hinter sich hat, als die Genforschung bisher annahm. Forster: «Laut Lehrbuchmeinung sind es bei Mädchen und Jungen zwischen 22 und 23 Teilungen vor der Pubertät. Unsere Ergebnisse könnten aber bedeuten, dass sich männliche Samenzellen bei Eintritt in die Pubertät bereits über 100 Mal geteilt haben.«
Risiko für Erbkrankheiten
Mutationen in den Keimzellen von Teenager-Vätern
(dpa) ⋅ Teenager-Väter geben laut einer Studie häufiger durch Mutationen belastetes Erbgut an ihre Kinder weiter als Zwanzig- bis Dreissigjährige. Dies könnte erklären, warum Kinder pubertierender Väter ein ähnlich hohes Risiko wie die Nachkommen von 35-jährigen Erzeugern für genetisch bedingte Krankheiten haben, etwa für Schizophrenie oder offenen Rücken (Spina bifida).
Dies glaubt zumindest der deutsch-britische Forscher Peter Forster. Er und seine Kollegen von den Universitäten in Münster, Salzburg und Cambridge in England haben 24 000 DNA-Proben von Eltern und deren Kindern aus Europa, dem Nahen Osten und Afrika untersucht. Das Ergebnis veröffentlichen sie im Journal «Royal Society Proceedings».
Wie weitreichend die Ergebnisse sind, ist allerdings umstritten. Nach Ansicht des Humangenetikers Jörg Epplen von der Ruhr-Universität Bochum sind die Befunde noch kein Beweis für den Zusammenhang zwischen den Mutationen und einem Krankheitsrisiko. Die Studienautoren hätten «stumme» Genom-Teile unter die Lupe genommen, die nach bisherigem Wissen keine Bedeutung für Eigenschaften oder weitergegebene Krankheiten der Nachkommen hätten.
Bisher war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass ein jüngerer Erzeuger seltener Erbkrankheiten überträgt als ein älterer. Der Grund: Die Keimzellen eines Mannes reproduzieren sich zeit seines Lebens. In diesem fortwährenden Teilungsprozess kann es bei jeder Kopie zu neuen Genveränderungen kommen. So steigt die Mutationslast in den Keimzellen der Männer mit ihrem Alter. Wie Forster und seine Kollegen nun jedoch festgestellt haben, sind Spermien ganz junger Väter eine Ausnahme.
Kinder von Teenager-Vätern (12 bis 19 Jahre) wiesen demnach in ihrem Erbgut etwa 30 Prozent mehr sogenannte De-novo-Mutationen auf als Kinder von 20 bis 30 Jahre alten Vätern. Das sind Veränderungen der DNA, die in den Keimzellen – also in den Eizellen oder Spermien – entstehen und die sich somit erst nach der Befruchtung bei den Kindern manifestieren. «Wir halten es für möglich, dass der Apparat, der Spermazellen produziert, zu Beginn der Pubertät noch nicht ganz justiert ist und zunächst mit hoher Fehlerquote arbeitet», sagte Forster.
Noch ein Ergebnis überraschte das Team: Zu Beginn der Fortpflanzungsfähigkeit ist die Mutationslast in den Keimzellen von Jungen sechs Mal so hoch wie in denen der Mädchen. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine männliche Keimzelle vor der Fruchtbarkeit wesentlich mehr Teilungsprozesse hinter sich hat, als die Genforschung bisher annahm. Forster: «Laut Lehrbuchmeinung sind es bei Mädchen und Jungen zwischen 22 und 23 Teilungen vor der Pubertät. Unsere Ergebnisse könnten aber bedeuten, dass sich männliche Samenzellen bei Eintritt in die Pubertät bereits über 100 Mal geteilt haben.«
Dienstag, 3. Februar 2015
Gehirngeschlecht.
Wie Östrogen und Co. die kognitiven Leistungen beeinflussen
Können Männer wirklich nicht zuhören, und sind Frauen tatsächlich unfähig einzuparken? Vorurteile dieser Art sind weit verbreitet und in den meisten Fällen falsch. Doch manchmal findet sich darin ein wahrer Kern.
So sind Frauen tatsächlich bei verbalen Fähigkeiten überlegen, bei denen es auf das schnelle Nennen von Zielwörtern ankommt. Männern dagegen fallen manche Aufgaben leichter, die besonders das räumliche Vorstellungsvermögen fordern.
Wissenschaftler suchen seit einiger Zeit nach Gründen für diese unterschiedliche kognitive Leistungsfähigkeit. Sie sind dabei auf funktionelle Unterschiede zwischen den Hirnhälften und zwischen den Gehirnen beider Geschlechter gestoßen, für die wenigstens zum Teil Hormone verantwortlich sind…
mehr als ein dutzend unterschiede…
Gehirne von Mann und Frau sind nicht völlig gleich
Gehirne von Mann und Frau sind nicht völlig gleich
Die individuellen Leistungsunterschiede bei Männern und Frauen sind zwar größer als zwischen beiden Geschlechtern, trotzdem kommt es bei bestimmten kognitiven Aufgaben zu recht konstanten Unterschieden zwischen Männern und Frauen, die auch wissenschaftlich belegt sind.
So fallen Frauen beim „Wortflüssigkeitstest“ in einer Minute mehr Wörter ein, die z.B. mit einem „A“ oder einem „M“ beginnen als Männern. Dagegen schneiden Männer im Durchschnitt bei Tests besser ab, bei denen Vergleichsfiguren gefunden werden sollen, die mit der Zielfigur identisch sind.
Geschlechtsspezifische Unterschiede des Sprachvermögens und der visuellen Raumkognition sind also kein bösartiges Vorurteil, sondern wissenschaftliche Tatsache. Sie könnten das Ergebnis unterschiedlicher Erziehungsstile und/oder biologischer Faktoren sein. Für Letzteres spricht, dass sich weibliche und männliche Gehirne in ungefähr einem Dutzend anatomischer Merkmale unterscheiden.
Auf biologische Faktoren deuten auch spezielle Testergebnisse hin, in denen Geschlechtsunterschiede nicht nur in verschiedenen Nationen, sondern auch über die letzten 30 bis 40 Jahre hinweg recht konstant nachgewiesen werden, obwohl sich die Erziehungsstile in diesen Ländern und Zeitspannen extrem unterscheiden.
Zudem erhöhen sich bei Männern, die nach einer Geschlechtsumwandlung zu Frauen werden, unter Einnahme weiblicher Sexualhormone die Sprachkompetenzen auf Kosten der Raumkognitionen. Genau die umgekehrte Entwicklung machen Frauen durch, die zu Männern werden.
sind die hormone schuld?
Botenstoffe sorgen für geschlechtsspezifische Hirnmechanismen
Aus Sicht der Wissenschaftler spricht viel dafür, dass die kognitiven Unterschiede zwischen Männern und Frauen zumindest zum Teil durch unterschiedliche hormonelle Faktoren entstehen können, die dann wahrscheinlich geschlechtsspezifische Hirnmechanismen nach sich ziehen. Doch müssten dann nicht auch die hormonellen Schwankungen während des weiblichen Monatszyklus Veränderungen von kognitiven Leistungen erzeugen?
Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) um die Biopsychologen Professor Dr. Onur Güntürkün und Dr. Markus Hausmann sowie den Neurologen Dr. Martin Tegenthoff sind dieser Frage nachgegangen und haben weiblichen Testpersonen, die keine Hormonpräparate wie beispielsweise die Pille einnehmen, zweimal während ihres Zyklus Aufgaben – zum Beispiel einen Rotations-Test – gestellt, bei denen Frauen meist schlechter abschneiden als Männer.
Ein Testzeitpunkt lag während der Menstruation (2. Tag), wenn alle Sexualhormone auf dem Tiefpunkt sind. Die zweite Aufgabe stellten wir in der Lutealphase (22. Tag), in der der Hormonspiegel an Östradiol und Progesteron sehr hoch ist. Die Ergebnisse waren eindeutig: Wenn die weiblichen Sexualhormone ihren Tiefpunkt erreichten (2. Tag), war die Leistung der Frauen beim mentalen Rotations-Test ähnlich gut wie die der Männer.
Stiegen aber die Hormone zum 22. Tag an, dann sank die Leistung dramatisch ab. Die untersuchten Frauen waren demnach in ihrer visuell-räumlichen Fähigkeit nicht prinzipiell schlechter als die Männer – es kam nur drauf an, wann man sie testete.
auf den zeitpunkt kommt es an
Sexualhormone beeinflussen Hirnfunktionen
Da Sexualhormone vielfältige Einflüsse auf Hirnfunktionen haben, ist es nicht einfach, herauszufinden, welche dieser Funktionen bei den Versuchspersonen verändert wurden. Ein „aussichtsreicher Kandidat“ sind aus Sicht der RUB-Forscher die so genannten cerebralen Asymmetrien – die Funktionsunterschiede zwischen der linken und der rechten Hirnhälfte. Die linke Hirnseite zeigt bei Menschen eine Überlegenheit verbaler Fähigkeiten, während die rechte eine Dominanz für visuell-räumliche Funktionen besitzt.
Diese funktionellen Links-Rechts-Unterschiede sind bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Könnte es sein, dass Frauen und Männer sich kognitiv unterscheiden, weil die Asymmetrien ihrer Gehirne unterschiedlich sind? Doch dann müssten sich mit der Kognition auch die Hirnasymmetrien während des Monatszyklus verändern.
Die Wissenschaftler untersuchen die Asymmetrien beim Menschen mit einem speziellen Experiment – Visuelle Halbfeldtechnik -, das es ermöglicht, quasi nur einer Hirnhälfte Bilder zu zeigen: Wenn eine Versuchsperson ein Kreuz in der Monitormitte betrachtet, wird die Figur links vom Fixationskreuz nur von ihrer rechten Hirnhälfte gesehen. Sobald die Versuchsperson nach links blickt und die Figur zentral ansieht, nehmen natürlich beide Hirnhälften diesen Stimulus wahr. Für eine solche Blickbewegung brauchen Menschen circa 200 Millisekunden.
Verschwindet die seitliche Figur aber nach nur 180 Millisekunden vom Monitor, während die Versuchsperson noch auf das zentrale Fixationskreuz blickt, dann wird dieser lateralisierte Reiz nur von der rechten, das heißt contralateralen Hemisphäre wahrgenommen.
Menstruation verändert Gehirnasymmetrien
Im nächsten Schritt vergleichen die Testpersonen verschiedene Figuren: Zunächst prägen sie sich eine zentral dargebotene abstrakte Figur einige Sekunden lang ein, sodass beide Hirnhälften diesen Reiz speichern. Dann erscheint anstelle der zentralen Figur kurz das Fixationskreuz. Anschließend wird seitlich links oder rechts für 180 Millisekunden die gleiche oder eine andere Figur eingeblendet, während der Blick auf das Kreuz gerichtet bleibt. Die Testperson entscheidet nun so schnell wie möglich per Tastendruck, ob es sich um die gleiche (G) oder eine ungleiche Figur (U) handelt.
In der Regel folgt die Antwort schneller und korrekter, wenn die zweite Figur auf dem Monitor links erscheint, da die rechte Hemisphäre bei visuell-räumlichen Aufgaben überlegen ist. Dieses Ergebnis bestätigten unsere männlichen Versuchspersonen sowie Frauen während der Menstruation. Dagegen war bei denselben Frauen die Leistung ihrer beiden Hirnhälften während der Lutealphase seitengleich. Die cerebralen Asymmetrien für visuell-räumliche Aufgaben hatten sich tatsächlich während des Menstruationszyklus radikal verändert.
Weniger Botenstoffe, mehr Leistung
Eine Reduktion der weiblichen Sexualhormone führt also sowohl zu einer Leistungssteigerung bei der mentalen Rotation als auch zu einer asymmetrischen Hirnorganisation. Auch bei Frauen nach der Menopause fanden die Forscher Links-Rechts-Unterschiede für visuell-räumliche Reize, die denen von Männern wie auch von Frauen während der Menstruation entsprachen.
Die Untersuchungen der RUB-Wissenschaftler zeigen, dass sich die Asymmetrie vor allem mit der Fluktuation des Hormons Progesteron veränderte. Progesteron steigt zum 22. Tag des Monatszyklus an und fällt dann wieder ab. Im Gehirn erhöht Progesteron die Effektivität der Rezeptoren für den hemmenden Botenstoff GABA und reduziert gleichzeitig die Aufnahme und Umsetzung des aktivierenden Botenstoffs Glutamat.
Insgesamt sollte Progesteron somit auf viele Hirnprozesse dämpfend wirken. Dabei könnte Progesteron die cerebralen Asymmetrien vor allem durch die Modulation des Informationsaustausches zwischen den beiden Hirnhemisphären über die große Faserverbindung (Corpus callosum) verändern.
„brücke“ zwischen den hirnhälften
Das Corpus callosum
Das Corpus callosum besteht aus über 200 Millionen Fasern und verbindet beide Hirnhälften miteinander. Die Nervenzellen, die das Corpus callosum bilden, verwenden fast ausschließlich Glutamat. Während der Lutealphase könnte das Progesteron somit die Effizienz dieser Verbindung und damit zugleich die cerebralen Asymmetrien verringern. Wenn diese Überlegungen stimmen, müsste während des Menstruationszyklus die gesamte Erregbarkeit innerhalb der Hirnrinde schwanken. Doch wie kann man das nachweisen?
Mit Hilfe der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) lässt sich die Erregbarkeit des menschlichen Gehirns schonend untersuchen. Diese neurophysiologische Methode wird seit mehr als zehn Jahren in der Neurologie als Diagnoseverfahren eingesetzt.
Das technische Grundprinzip besteht darin, dass sich durch einen starken Stromfluss innerhalb einer Rundspule ein Magnetfeld aufbaut, das ungehindert und schmerzfrei die Schädeldecke durchdringt und durch elektromagnetische Induktion innerhalb der Hirnsubstanz einen elektrischen Strom erzeugt und somit einzelne Gehirnzellen erregt.
Wie erregbar sind die verschiedenen Hirnregionen?
Durch eine spezielle Reiztechnik, bei der ein unterschwelliger TMS-Reiz wenige Millisekunden vor einem überschwelligen Testreiz gegeben wird, lässt sich die Erregbarkeit der Zielregionen im Gehirn untersuchen. Diese Methode stützt sich auf die Existenz von Zellverbänden innerhalb der Hirnrinde, die über ihre Synapsen einen hemmenden (inhibitorischen) Einfluss auf die nachgeschalteten Areale haben, während andere Neuronenverbände in der Nachbarschaft die nachgeschalteten Funktionsbereiche des Gehirns eher erregen (exzitieren).
Beträgt der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Reiz nur ein bis vier Millisekunden, werden hauptsächlich die inhibitorischen GABA-Zellverbände aktiviert. Bei einem größeren zeitlichen Abstand von acht bis 20 Millisekunden sind es dagegen die exzitatorischen Neuronenverbände, die Glutamat als Botenstoff einsetzen.
sexualhormone dämpfen nervenaktivität
„Kleiner Unterschied“ im Gehirn hormonabhängig
Die standardisierte zeitliche Abfolge einer Doppelreizmethode erlaubt eine differenzierte Aussage bezüglich der aktuellen hemmenden und erregenden Zellaktivität in einer bestimmten Hirnregion. Mit einer vergleichbaren TMS-Technik untersuchen die Forscher die Signalübertragung zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum.
Diese TMS-Doppelreiz-Methode wurde nun bei Frauen in unterschiedlichen Phasen des Menstruationszyklus eingesetzt. Die Aktivität der hemmenden und erregenden Neuronenverbände zeigte dabei in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Zyklusphasen deutliche Schwankungen. So verringerte sich die Aktivität der erregenden Zellverbände bei hoher Konzentration der Sexualhormone Östradiol und Progesteron in der Lutealphase deutlich, während die hemmenden Zellverbände gleichzeitig aktiviert wurden. Hieraus resultierte nach Angaben der Wissenschaftler insgesamt eine verminderte Aktivierbarkeit bestimmter Hirnregionen.
Dies ist genau der Effekt, den die Forscher für Progesteron durch die Reduktion der Glutamat- und die Erhöhung der GABA-Übertragungseffizienz erwartet hatten.
Gleichzeitig war eine Veränderung des Informationsaustausches zwischen den beiden Hemisphären über das Corpus callosum nachweisbar: In der Lutealphase verringerte sich die Signalvermittlung, was den Test-Ergebnissen der Visuellen Halbfeldtechnik entspricht. Damit konnten die RUB-Wissenschaftler ihre Hypothese einer im Verlauf des Menstruationszyklus wechselnden Erregbarkeit der Hirnrinde und einer Modulation der Interaktion zwischen den Hemisphären bestätigen.
Die mit sehr unterschiedlichen Verfahren gewonnenen Untersuchungsergebnisse belegen eindrucksvoll eine im Verlauf des weiblichen Zyklus vorhandene hormonvermittelte wechselnde Asymmetrie der Hirnfunktion. Diese Schwankungen schlagen sich in tagtäglichen Funktionen nieder. Die Ergebnisse der RUB-Forscher zeigen nicht nur, dass sich „der kleine Unterschied“ im Gehirn des Menschen objektiv begründen lässt, sondern dass dieser Unterschied hormonabhängig schwankt.
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