aus derStandard.at, 16. Oktober 2014, 15:53
Evolution der Emotion: Große Gefühle, kleine Unterschiede
Wie
stark werden unsere Gefühle von urzeitlichen Mechanismen gesteuert?
Inwieweit spielen Herz und Hirn zusammen, wenn wir emotional handeln?
Und fühlen Frauen anders als Männer?
von Karin Krichmayr
Grünau/Wien - "Frauen sind
das sozialere, angepasstere Geschlecht. Sie scheinen virtuoser mit
Gefühlen umgehen zu können, während Männer schweigen oder aggressiv
reagieren, wenn sie mit starken Gefühlen konfrontiert sind." Barbara
Schweder scheut keine Geschlechterklischees. Die Anthropologin greift
bewusst zu drastischen Bildern, wenn es darum geht, gefühlstechnische Unterschiede zwischen Frau und Mann zu illustrieren.
Was
nach überholten Stereotypen und populären Mars-Venus-Vergleichen
klingt, begründet Schweder mit uralten stammesgeschichtlichen
Veranlagungen: "Ein typisches Beispiel ist die Anbindung des Stammhirns,
des entwicklungsgeschichtlich ältesten Teils des Gehirns, an das
Großhirn. Dort sind höhere Gehirnfunktionen wie das Sprachzentrum
beheimatet", sagt Schweder. "Männer verarbeiten Emotionen eher mit dem
älteren Teil, der mit Sex, Flucht und Aggression in Verbindung steht.
Frauen nutzen eher den jüngeren Teil des Stammhirns, der stärker mit dem
Sprachzentrum verknüpft ist."
Flucht, Kampf und Freundschaft
Männer seien bei emotionalen Herausforderungen evolutionär bedingt also eher auf das Prinzip "fight or flight" (Flucht oder Kampf) konditioniert, während Frauen auf "tend and befriend" (sich
kümmern und sich befreunden) eingestellt seien. Heutige
Wertvorstellungen und Rollenbilder würden die urzeitlichen
Verhaltensmuster verstärken.
Natürlich sei das Gehirn flexibel,
seien in jedem Menschen "männliche" und "weibliche" Muster mehr oder
weniger vorhanden - dennoch dürften Ungleichheiten nicht ignoriert
werden. Und zwar ganz im Sinne der Gleichberechtigung: "Die
Gehirnforschung hat gezeigt, dass bei Frauen und Männern etwa bei der
Objekterkennung verschiedene Gehirnareale aktiv sind. Die Ergebnisse
sind aber die gleichen, sie werden nur auf unterschiedlichem Weg
erzielt", sagt Schweder.
Lebenserhaltende Systeme
Die
Biologin war eine der Vortragenden des ersten "Biologicum Almtal", das
vergangene Woche im oberösterreichischen Grünau stattfand. Unter dem
Titel Die Biologie der Emotionen
lud Kurt Kotrschal, Wolfsforscher und Chef der in Grünau ansässigen
Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Verhaltensbiologie, ins Almtal. Rund
200 Besucher nahmen an den Vorträgen und Workshops teil, die sich
Gefühlen aus der Sicht von Verhaltens-, Evolutions- und Neurobiologie,
Psychologie und Philosophie annäherten.
Emotionen sind
evolutionär entstandene Systeme, die ursprünglich lebenserhaltende und
vermehrungsfördernde Funktionen hatten, stellte Kotrschal fest. "Im
Grunde dienen die negativen, mit den Stresssystemen verbundenen
Emotionen dazu, schädliche Situationen zu vermeiden oder sie zu
bewältigen. Dagegen sind positive Emotionen mit den Belohnungssystemen
verknüpft, sie steuern
letztlich das Verweilen in günstigen Lebensbedingungen", sagt der
Verhaltensforscher. Ausgangspunkt für die Evolution der Emotionen seien
wahrscheinlich die selbst bei Einzellern vorhandenen Anziehungs- und
Vermeidungsreaktionen. "Daraus entwickelte sich beim Menschen, dem am
radikalsten sozial agierenden Tier, das komplexeste Gefühlsleben im
Artenspektrum."
Herz mit Hirn
Inwieweit das Gefühlsleben
des Menschen über uralte Muster hinausgeht, erforscht Claus Lamm am
Institut für psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden
der Uni Wien. "Im Alltag geht man immer noch davon aus, dass Gefühle
ein biologisch determiniertes Programm sind, das schwer in den Griff zu
bekommen ist", sagt Lamm. "Die Realität aus wissenschaftlicher Sicht
ist aber: Es gibt keine Emotion ohne Verstand und keinen Verstand ohne
Emotion." Herz und Hirn sind also zwei Seiten derselben Medaille. Ohne
ihre Verknüpfung sind keine sinnvollen Entscheidungen, ist kein
soziales Handeln möglich.
Emotionen dienen nicht nur dazu, dem
Gehirn entscheidende Signale dafür zu liefern, welchen Reizen wir uns
zu- und von welchen wir uns abwenden sollten. Sie können auch flexibel
durch kognitive Prozesse reguliert werden. "Wenn jemand vor einer
steilen Felswand steht, wird ein erster Reflex Angst auslösen. Dieses
automatische Gefühl wird aber im Gehirn bewertet. Überwindet man sich
und klettert die Wand hinauf, kann die ursprüngliche Angst
energetisierend wirken und durch ihre Bewältigung sogar ein
Glücksgefühl bringen", gibt Lamm ein Beispiel für die Formbarkeit der
Gefühle und ihre ständige Interaktion mit dem Gehirn. So wie ein
Kletterer lernt, die Angst zu überwinden, könnten auch Menschen mit
einer Angststörung lernen, negative Gefühlsregungen anders zu
interpretieren.
Stressreaktionen
Wirklich
ausgeliefert, wie es manchmal scheint, sind wir unseren Gefühlen nicht,
meint Lamm. "Es ist alles eine Frage des Lernprozesses." Dennoch gibt
es Faktoren, die die Fähigkeit, Gefühle rational einzuordnen, stark
einschränken. Der häufigste: Stress. Steht man unter Druck, lösen
Stresshormone Reaktionen aus, die ursprünglich auf eine potenzielle
Bedrohung vorbereiten sollten. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die
Wahrnehmung fokussiert sich. Diese Angsterscheinung kann konstruktiv
genutzt werden, indem man etwa eine Aufgabe schneller und besser löst.
Kann man das Gefühl weniger gut regulieren, tritt eine Art Schockstarre
ein, man würde sich am liebsten verkriechen - das alte Schema von
Kampf oder Flucht tritt zutage.
Genauso wie die eigenen Stimmungen
lassen sich auch die Gefühle anderen Menschen gegenüber kognitiv
steuern. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzufühlen, besteht
nicht nur in einem automatischen Mitfühlen - indem etwa bei der
Beobachtung eines schmerzhaften Vorgangs im Gehirn dieselben
Aktivitätsmuster ablaufen, wie wenn man selbst verletzt würde. Wie
empathisch wir reagieren, hängt auch davon ab, wie gut unsere Beziehung
zum Gegenüber ist - und inwieweit wir eigene und fremde Gefühle
voneinander trennen können. Grenzt man sich nämlich zu wenig ab, ist
man schneller überfordert und wendet sich eher ab.
Empathisch oder egozentrisch
In
einer im Frühjahr veröffentlichten Studie zeigte Lamm, dass Frauen
unter Stress besser zwischen eigenen und fremden Emotionen unterscheiden
konnten und selbst unter Druck empathischer auf andere Personen
reagierten als Männer. Die verhielten sich eher egozentrisch. Belegen
also die Neurowissenschaften alte Rollenklischees? "Eine Metastudie, in
der wir vergangene Arbeiten zu dem Thema analysiert haben, hat ergeben,
dass Frauen tatsächlich empathischer zu sein scheinen, aber der
Unterschied ist minimalst", ist Claus Lamm skeptisch. "Meistens sind die
individuellen Unterschiede innerhalb einer Gruppe viel größer als die
zwischen den Geschlechtern."
Abgesehen von biologischen Ursachen
wie unterschiedlicher Hormonausschüttungen, würden vor allem Stereotype
vermeintliche Geschlechterunterschiede in Sachen Emotionalität
zementieren, ist Lamm überzeugt. "Mich interessiert: Wie fühlt der
Mensch?" Und da gibt es noch einiges zu tun: Denn das Wissen um die
Verankerung der Gefühle im Gehirn kann dazu dienen, Emotionen positiv
zu nutzen - und uns gefühlsmäßig weiterbringen.
Link
www.biologicum-almtal.at
Nota.
"Frauen sind das intrigante und berechnende Geschlecht, sie können mit Gefühlen umgehen, ganz nach Bedarf. Der Mann kann das nicht. Er muss sie so ausdrücken, wie sie sind - oder schweigen; er kann sich nicht verstellen. (Die geben sich nichtmal Mühe!)" - Das ist sachlich genau dasselbe, aber trotzdem klingt es ganz anders, nicht wahr?
Ja, was so'n bisschen gerechte Sprache ausmachen kann.
JE