Warum wurden Mädchen früher ins Kloster geschickt?
"Wer seine Tochter in eine religiöse Frauengemeinschaft gab, schloss eine Art Versicherung fürs Jenseits ab," sagt die Freiburger Historikerin Kleinjung. Kürzlich gab es dazu eine Tagung in Waldkirch.
BZ: Frau Kleinjung, bis jetzt dachte ich, dass gerade im Spätmittelalter Stifte und Klöster vor allem dazu da waren, um unverheiratete Frauen zu versorgen. Frauen, die den Familien sonst zur Last gefallen wären . . .
Christiane Kleinjung: Nein, überhaupt nicht. Das hat die Forschung längst widerlegt. Ganz im Gegenteil: So ein Eintritt in ein Kloster oder ein Stift kostete die Familien unter Umständen erheblich mehr als eine Verheiratung der Töchter.
BZ: Warum wurde es dann gemacht?
Kleinjung: Oh, das hatte viele Gründe. Religiöse zum Beispiel. Auf diese Art hoffte man, nach dem Tod vom göttlichen Gericht nicht bestraft zu werden. Davor hatten die Menschen damals nämlich echt "höllische" Angst. Nicht selten wurden aus diesem Grunde eigens Frauengemeinschaften erst gegründet. Die Töchter sollten für die Familie beten.
BZ: Wie muss man sich das vorstellen?
Kleinjung: Die Frauen waren mehrere Stunden am Tag mit Fürbitten für ihre Angehörigen beschäftigt. Diese Gebete waren in den Regularien der Gemeinschaften festgelegt. Es gab Listen, die sozusagen abgearbeitet werden mussten. Auch für schon Verstorbene. Außerdem musste bestimmter Jahrestage gedacht werden. Die Gebete wurden für außerordentlich wirkmächtig gehalten. Manche Vermögen, die in die Gemeinschaft eingebracht wurden, waren so groß, dass man sich damit Fürbitten bis zum Jüngsten Tag ausbedingen konnte. Und die Grabpflege obendrein.
Werbung
BZ: Meinen Sie, die Frauen hielten das für eine sinnvolle Tätigkeit?
Kleinjung: Aber ja! Nicht nur für sinnvoll, sondern auch für Sinn gebend, identitätsstiftend.
BZ: Wurden sie auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen?
Kleinjung: Diese Frauen genossen ein hohes Ansehen. Und teilweise hatten sie auch sehr viel Macht.
BZ: Macht?
Kleinjung: Ja, eine Äbtissin befehligte nicht nur die Frauen der jeweiligen Gemeinschaft, sie hatte auch die Macht über die wirtschaftlichen Angelegenheiten. Sie verwaltete die Pacht aus Ländereien oder die Einnahmen aus Immobilien. In ihrer Position war sie zugleich Lehnsherrin und Gerichtsherrin. Den Wonnetaler Frauen etwa gehörte einmal fast ganz Kenzingen!
BZ: Wem gehörte dann das Vermögen?
Kleinjung: Das war unterschiedlich geregelt, wie auch die einzelnen Gemeinschaften als Stifte oder Klöster sehr unterschiedliche Strukturen hatten. Manche der Frauen lebten abgeschlossen hinter Mauern und in Klausur. Sie bewegten sich nicht in der Öffentlichkeit. Da war das Vermögen sozusagen vergesellschaftet. In bestimmten Stiften andererseits – beim Hochadel zumal – wurde zwar mit dem Vermögen der einzelnen Frauen gemeinsam gewirtschaftet. Er blieb aber Privatbesitz, die eigene Geschäftseinlage, könnte man sagen. Auf diese Weise konnten die Frauen auch damit für ihre Familien sorgen. Durch Kredite zum Beispiel. Oder sie waren am städtischen Finanzmarkt tätig. Das erforderte neben den Kosten für den reproduktiven Teil des Lebens auch einen bestimmten Aufwand für repräsentative Zwecke – wie angemessene Kleidung zum Beispiel. Wir wissen aus einem Schreiben an den Papst, dass um die Erlaubnis für den Kauf von Fellhandschuhen für den Winter gebeten wurde. Im Gegensatz zu männlichen Klerikalen verfügten die Frauen nicht über Pfründe durch Abgaben von Gläubigen. Sie mussten schon selbst für sich sorgen. Und es waren ja manchmal auch nicht einmal zehn Frauen, die das stemmen mussten.
BZ: Diese Frauen durften nicht an Universitäten studieren . . .
Kleinjung: Nein. Aber sie mussten meistens Latein beherrschen und schreiben lernen. Denn ihnen oblag ja auch die Verwaltungsführung.
BZ: Hatten die Frauen auch eigene Motive in eine solche Frauengemeinschaft zu gehen, eigene Anliegen?
Kleinjung: Salopp gesagt: Das können Sie vergessen. Sie waren mit Sicherheit nicht Subjekte im modernen Sinn. Sie sind nur im Zusammenhang mit ihren Familien zu denken. Manche wurden ja schon als Kleinkinder in eine solche Gemeinschaft gegeben. Eine moderne Individualität, so wie wir sie verstehen, gab es im Mittelalter nicht. Aber man kann sich vorstellen, dass manche das Leben in einer Frauengemeinschaft dem Leben mit einem Ehemann, den sie sich ja auch nicht aussuchen konnten, vorgezogen hat.
BZ: Unterhielten die Frauengemeinschaften untereinander Kontakte?
Kleinjung: In jedem Fall wirtschaftliche Beziehungen. Und es gab natürlich auch Konkurrenz untereinander: Wer hat die vornehmsten Mitglieder etwa. Manchmal konnte eine der Frauen auch in eine andere Gemeinschaft wechseln.
BZ: Abgesehen von religiösen Gründen: Welche anderen Gründe gab es, Töchter in eine solche Frauengemeinschaft zu entsenden?
Kleinjung: Man muss sich das vorstellen wie die Mitgliedschaft in einem elitären Club. Wer seine Töchter dorthin schickte, gehörte zur besseren Gesellschaft einer Stadt. Das musste man sich leisten können. Dafür war man aber auch Teil eines politischen oder wirtschaftlichen Netzwerkes von Amtsinhabern und mächtigen Leuten mit Vermögen. Das nutzte man selbstverständlich nach Kräften zum eigenen Vorteil. Es handelt sich im Großen und Ganzen um untrennbar miteinander verwobene Aspekte.
BZ: Mittellose Frauen hatten keine Chance, in eine solche Gemeinschaft aufgenommen zu werden?
Kleinjung: Im Prinzip nicht. Höchstens gelang es mal einfacheren Bauerntöchtern im Auftrag von Gönnern, die sich damit ebenfalls fürs Jenseits absichern wollten.
BZ: Und warum mussten ausgerechnet Frauen in der Familie dafür herhalten?
Kleinjung: Wieder so ein Missverständnis. Das gleiche galt auch für Männer. Es war Teil der Familienstrategie zu bestimmen, ob Töchter oder Söhne eine weltliche oder geistliche Karriere anzustreben hatten. Und zwar gleichermaßen.
BZ: Wie haben die sich dabei gefühlt?
Kleinjung: Von den Frauen, über die ich forsche, gibt es nur sehr, sehr wenig Selbstaussagen. Man weiß aber aus einzelnen Briefen, dass die Schicksale wohl sehr unterschiedlich waren. Die einen beklagten sich darüber, dass ihre Familien sie zu selten besuchten, dass sie ihre Angehörigen vermissten. Andere dagegen wollten zum Beispiel nach der Reformationszeit gar nicht wieder zurück, sondern gründeten neue kleine Frauengruppen, um sich weiterhin einem nur religiösen Leben zu widmen. Die Gründe dafür kennen wir aber nicht.
BZ: Diesen Frauengemeinschaften waren häufig auch männliche Klerikale angeschlossen . . .
Kleinjung: Ohne Männer ging es selbstverständlich nicht. Die Frauen selbst durften ja keine sakralen Handlungen ausführen. Keine Beichte abnehmen, keine Messe halten, Sakramente spenden. Die gesamte seelsorgerische Betreuung oblag den Männern. Also wurden sie von Klerikalen begleitet, die sich später zum Teil auch fest mit den Frauengemeinschaften verbanden. In getrennten Häusern, versteht sich. In Stiften bildeten sie später einen Konvent aus Frauen und Männern, der Entscheidungen treffen konnte, ein Gegengewicht zur Macht der Äbtissinnen.
BZ: Private Beziehungen zu Männern waren aber verboten?
Kleinjung: Nun ja, die Ordensfrauen hatten – im Unterschied zu Beginen – das Gelübde nach der benediktinischen Regel abgelegt. Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt.
BZ: Warum "nun ja"?
Kleinjung: Wir wissen von einer Äbtissin in Säckingen, die ein uneheliches Kind mit einem Adligen hatte. Das integrierte sie als Klerikalen in ihre Frauengemeinschaft. Für so etwas brauchte man eine päpstliche Dispens. An diesem Beispiel kann man sehen, wie einflussreich manche Familien im Hintergrund waren, die die Frauen unterstützten. Sonst hätte das nicht auf diese Weise geregelt werden können.
BZ: Weiß man überhaupt etwas über die geschlechtliche Orientierung der Frauen?
Kleinjung: Da kann man nur spekulieren. Die Quellenlage ist dazu außerordentlich dürftig.
Christiane Alexandra Kleinjung ist Privatdozentin an der Abteilung Landesgeschichte des Historischen Seminars der Universität Freiburg.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen