Freitag, 7. April 2017

Männlich stürmt voran.

Das weibliche und männliche Erbgut konkurrieren anfangs. 
aus Die Presse, Wien, 1. 4. 2017

Weibchen lässt Männchen gewinnen 
Einzell-Embryos sind faszinierend: In ihnen muss das weibliche und männliche Erbgut eins werden. Einen ersten Wettkampf entscheidet dabei das männliche Genom für sich. 

 

Aus zwei mach eins: Das passiert, wenn ein Spermium eine Eizelle befruchtet. Es ist der einzige Zeitpunkt, an dem zeitgleich zwei Zellkerne in einer Zelle sind. „Das Genom in Spermien ist völlig anders strukturiert als in anderen Körperzellen“, erklärt Kikue Tachibana-Konwalski vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Damit die männliche DNA in den winzigen Spermienkopf passt, ist sie um spezielle Proteine gewickelt: nämlich um Protamine. Alle restlichen Körperzellen, inklusive der Eizellen, nutzen Histone, um die lange DNA-Schnur kompakt zu verpacken.

Diese Proteine sind wichtig für die Epigenetik: also für jede Steuerung, was aus einer Zelle wird, die nicht von der DNA-Sequenz bestimmt wird. Epigenetisch sorgen also Schutzproteine und andere Moleküle dafür, welche Teile der DNA aktiviert und in Proteine umgesetzt werden und welche stumm geschaltet bleiben. Nur so ist es möglich, dass alle Zellen eines Menschen dieselbe DNA haben, aber ganz unterschiedliche Dinge bilden wie Wimpern, Haut, Leberzellen oder den Herzmuskel.

Keimzellen müssen vergessen

„Die große Frage ist, wie werden kurz nach der Befruchtung das männliche und das weibliche Genom neu organisiert, damit daraus ein neues Lebewesen entstehen kann“, sagt Tachibana-Konwalski.

Denn Spermien- und Eizelle müssen vergessen, was sie vorher waren, also ihre epigenetische Programmierung löschen, sonst könnte daraus nichts Neues wachsen. „Dass hier epigenetisch viel passiert, war schon klar. Wir haben nun eine Methode entwickelt, die so genau wie nie zuvor abbildet, wie sich die 3-D-Strukturen der männlichen und weiblichen Genome kurz nach der Befruchtung entwickeln“, erklärt Tachibana-Konwalski. Die Methode, die nun im Fachjournal „Nature“ publiziert wurde, entwickelte ihr Masterstudent Ilya Flyamer mit Eizellen, die Dissertantin Johanna Gassler wendete sie bei Einzell-Embryos an. Unterstützung bei den Simulationsmodellen kam aus den USA, vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Herkömmliche Methoden, um die 3-D-Struktur von DNA zu messen, verwenden zugleich Millionen von Zellen und erhalten Durchschnittswerte. „Das wäre, als ob man fünf Millionen Profilfotos übereinander legt und dadurch erfährt, dass ein Mensch zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase und einen Mund hat“, sagt Tachibana-Konwalski. „Unsere Methode kann das ,Gesicht‘ der einzelnen Eizellen abbilden. Wir können in jeder individuell sehen, welche Charakteristika sie hat.“ So erkennt man, welche DNA-Stränge und DNA-Schleifen nahe beinander liegen – und vielleicht gemeinsam reguliert werden – und welche nicht.

Die Auswertung zeigte Überraschendes: Obwohl das Genom des Spermiums sich völlig umstrukturieren muss – seine Protamin-Aufwickelung auflösen und sich neu um Histone arrangieren –, gewinnt es das Wettrennen und erreicht alle drei Levels der Genomorganisation schneller als das Erbgut der ehemaligen Eizelle.

Männchen erreicht Level drei

Level eins ist, dass der lange DNA-Strang in Schleifen gelegt wird, damit Stellen, die auf dem Strang weit entfernt sind, in der Schleife nahe zusammenkommen. Level zwei sind Schleifen in diesen Schleifen. Und Level drei ist bis heute noch nicht ganz verstanden: Durch mysteriöse Mechanismen nähern sich DNA-Abschnitte, die aktiv umgesetzt werden, an und rotten sich zusammen. Das tun auch Abschnitte, die zur Zeit stumm geschaltet sind. „Das weibliche Genom ist kurz nach der Befruchtung nur in Schleifen organisiert. Das männliche Genom hingegen erlangt schon in wenigen Stunden alle drei Levels“, sagt Tachibana-Konwalski. Erst wenn beide Genome vereint in diesem dritten Level ankommen, kann wahrscheinlich die Bildung eines neuen Organismus beginnen – mit all seinen unterschiedlichen Zelltypen.

„Dass das männliche Genom das Wettrennen gewinnt, war sehr überraschend. Immerhin dirigieren die Eiweißkörper der Eizellen die Neuorganisation des männlichen Genoms“, so Tachibana-Konwalski. Die Annahme ist nun, dass das weibliche Genom dem männlichen den Vortritt lässt.

Erst wenn die 3-D-Strukturierung des männlichen Genoms abgeschlossen ist, vervollständigt das weibliche Erbgut seine Strukturierung. Und gemeinsam starten beide die Bildung eines mehrzelligen Embryos. Ob die Tatsache, dass das männliche Genom schneller organisiert ist und schneller umgesetzt wird als das weibliche, auch Einfluss darauf hat, dass männliche Merkmale stärker im Embryo angelegt werden, kann diese Studie aber nicht beantworten.

LEXIKON


Einzell-Embryo nennt man die befruchtete Eizelle, in der sich das weibliche Erbgut und das männliche aus dem Spermium befinden. Zu keinem anderen Zeitpunkt sind zugleich zwei unterschiedliche Zellkerne in einer Zelle.

Das Einzell-Stadium wird auch als Zygote bezeichnet: Direkt nach der Befruchtung wird die Außenhülle verstärkt, damit keine weiteren Spermien eindringen. Beim Menschen dauert das Einzell-Stadium etwa 30 Stunden, nach der Zellteilung kommt es zum Zweizell-, dann zum Vierzell-Stadium usw., bis nach circa drei Tagen ein 16-zelliges Blastomer vorliegt. Die vorliegende Studie wurde an Mäusen durchgeführt.


Nota. - Prosaisches Faktum: Das männliche Erbgut schafft seine Umstrukturierung schneller als das weibliche. Ideologische Verpackung: Das überrascht den Biologen; er ist nämlich gewöhnt, dass auf der Mikroebene das Männliche gegenüber dem Weiblichen zunächst im Nachteil ist (den es auf der Normalebene mehr oder minder kompensieren muss). Doch hier ist es mal anders. 

Ein  biologischer Grund, weshalb das Männliche schneller ist, lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Nahe läge: nach einem biologischen Grund zu suchen, weshalb das Weibliche langsamer ist. Aber nein, das wäre politisch nicht korrekt! Ein biologischer Rückstand des Männliuchen, na schön, das ist üblich; aber ein biologischer Rückstand des Weiblichen? Unerhört, das kann nicht sein! Zuerst vermutet die Wissenschaft also, dass das Weibliche dem Männlichen 'den Vortritt lässt', großzügig, wie wir es nun einmal kennen. 

Und das machen sie alle, die weiblichen Keimzellen, als hätten sie sich's überlegt und miteinander abgespro- chen. Das ist zwar nicht wissenschaftlich gedacht, aber korrekt; es ist eine ergiebige Forschungshypotheses, denn sie bringt Drittmittel ans Institut.
JE 


 

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