Mittwoch, 31. Juli 2019

Östrogen schickt Jungen in den Autismus.

 
aus scinexx

Autismus durch vorgeburtliche Östrogen-Schwemme?
Erhöhte Östrogenzufuhr im Mutterleib scheint Autismus bei Jungen zu fördern.

Hormonflut im Mutterleib: Wenn Jungen im Mutterleib erhöhten Werten des Geschlechtshormons Östrogen ausgesetzt sind, kann dies offenbar ihr Risiko für Autismus fördern, wie eine Studie nahelegt. Demnach gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen hohen Östrogenwerten im Fruchtwasser und dem späteren Autismus der Kinder. Die Forscher vermuten, dass der Hormoneinfluss die Hirnentwicklung beeinflusst und so die Neigung zu dieser Entwicklungsstörung verstärkt.

Zwischen einem und drei Prozent der Kinder sind von einer autistischen Entwicklungsstörung betroffen – Jungen deutlich häufiger als Mädchen. Die Ursachen dafür sind bisher jedoch erst in Teilen bekannt. Klar scheint, dass neben einer genetischen Veranlagung auch Umwelteinflüsse für eine Entstehung des Autismus verantwortlich sind. Im Verdacht stehen unter anderem vorgeburtliche Belastungen durch Pestizide, Arzneimittel wie Antidepressiva, aber auch eine Herpesinfektion der Mutter. 

Steroidhormone beeinflussen Hirnentwicklung

Einen weiteren Einflussfaktor könnten nun Simon Baron-Cohen von der University of Cambridge und seine Kollegen identifiziert haben. Bereits vor einigen Jahren hatten sie erste Hinweise darauf gefunden, dass ein Überschuss männlicher Geschlechtshormone im Mutterleib Autismus fördern könnte. Diese Steroidhormone sorgen nicht nur für die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale beim Ungeborenen, sie beeinflussen auch die Hirnentwicklung.

Doch sie sind nicht die einzigen: „Auch pränatale Östrogene tragen zur Entwicklung des Fötus und seines Gehirns entscheidend bei“, erklären die Forscher. Zudem sind diese weiblichen Geschlechtshormone chemisch eng mit ihren männlichen Gegenparts verwandt und können sich ineinander umwandeln. Für ihre Studie analysierten die Forscher daher den Gehalt von Östriol, Östradiol, Östron und Östronsulfat in Fruchtwasserproben von 98 Jungen, die später an Autismus erkrankt waren. Diese verglichen sie mit den vorgeburtlichen Proben von 177 gesunden Jungen. 

Mehr vorgeburtliche Östrogene bei autistischen Jungen 

Das Ergebnis: Die autistischen Jungen waren vor ihrer Geburt signifikant höheren Dosen der weiblichen Geschlechtshormone ausgesetzt gewesen als ihre nichtautistischen Altersgenossen. „Die Östriol-Werte waren dabei am stärksten prognostisch für eine später Autismus-Diagnose“ berichten Baron-Cohen und sein Team. „Das Gleiche fanden wir aber auch für Östradiol und Östron: Beide Hormone waren signifikant mit einer Autismus-Diagnose verknüpft.“

Nach Ansicht der Forscher bestätigen diese Ergebnisse die Vermutung, dass Hormone im Mutterleib eine wichtige Rolle für den Autismus spielen. „Dies stützt die Idee, dass erhöhte pränatale Steroidhormon-Werte einer der potenziellen Auslöser dieser Entwicklungsstörung sind“, sagt Baron-Cohen. Ihren Studien zufolge sind dabei vor allem die Östrogen-Varianten, sowie das Androgen Progesteron wichtige Akteure. „Diese Hormone interagieren wahrscheinlich mit den genetischen Faktoren und beeinflussen so das sich entwickelnde fötale Gehirn“, erklärt der Forscher.

Ist die Plazenta schuld?

Wie es zu den erhöhten Hormonwerten kommt, ist bislang unklar. „Die Hormone könnten von der Mutter, dem Kind selbst oder von der Plazenta stammen“, sagt Koautor Alex Tsompanidis von der University of Cambridge. Tatsächlich gebe es einige Studien, die auf die Plazenta als einem möglichen Faktor für Autismus hindeuten. So häufen sich bei Müttern mit autistischen Kindern auch Entzündungen, atypische Mutterkuchen-Morphologien und plazentabedingte Komplikationen, wie die Forscher berichten. 

„Unser nächster Schritt ist es nun, die möglichen Hormonquellen zu untersuchen und herauszufinden, wie sie während der Schwangerschaft interagieren“, sagt Tsompanidis. Zudem muss noch geklärt werden, ob dieser Zusammenhang von vorgeburtlichen Hormonen und Autismus auch für Mädchen gilt – weil sie erheblich seltener von dieser Störung betroffen sind, fehlte es bislang an entsprechenden Proben. (Molecular Psychiatry, 2019; doi: 10.1038/s41380-019-0454-9)

Quelle: University of Cambridge

Montag, 29. Juli 2019

Die männlichste Kanzlerin.

 
Angela Merkel ist ein lebendes Argument gegen die Quote. Sie ist als Kanzlerin so ausschließlich sachbezogen wie keiner ihrer männlichen Vorgänger. Und was sie an Selbstbezug zweifellos auch noch hat, behält sie ganz privat für sich. Einen männliche- ren Kanzler hatten wir noch nicht.

Selbst ihr unbefangenes Mienenspiel bezeugt es. Auf äußere Wirkung legt sie so wenig Wert wie, sagen wir, Gerhard Schröder auf Glaubwürdigkeit.






 

Sonntag, 28. Juli 2019

Gerechte Sprache: Sachlichkeit.


aus FAZ.NET

... Ein aktuelles Arbeitspapier der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung hat jedenfalls einen ganz neuen Aspekt herausgearbeitet: Offensichtlich können Frauen deutlich besser mit dem flexiblen Arbeiten umgehen als Männer. Oder anders herum ausgedrückt: Männer können schlechter abschalten.

Für ihre Untersuchung wertete die Forscherin Yvonne Lott Angaben von gut 10.000 Personen aus der Haushaltsbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) der Jahre 2011 und 2012 aus. Insgesamt kam sie zu dem Ergebnis, dass das Abschalten den Arbeitnehmern bei völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten schwerer fällt als bei festen Zeiten. Allerdings: Dieser Effekt war nur  bei den Männern zu beobachten. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 40 Prozent, dass sie abends nicht zur Ruhe kommen, elf Prozentpunkte höher als bei Männern mit festen Arbeitszeiten. „Generell profitieren Frauen stärker von flexiblen Arbeitszeiten als Männer“, hält Lott fest.

Dies führt die Forscherin darauf zurück, dass gerade Männer dazu neigen, ohne vorgegebene Grenzen übermäßig lange zu arbeiten. Frauen seien hingegen „typischerweise geübtere Grenzgängerinnen“ als Männer, so Lott. Sie nutzten die zeitliche Flexibilität statt für unzählige Überstunden eher, um Hausarbeit und Erziehungs- oder Pflegetätigkeiten mit dem Beruf unter einen Hut zu bringen.


Nota. - Der Feminist*in sagt: Frauen sind eben flexibler als Männer. Gerechte Sprache sagt: Männer nehmen eben die Sache wichtiger; Frauen sich selbst. Das eine ist besser für die Individuen; das andere besser für die Welt.
JE



Samstag, 27. Juli 2019

Nordische Amazonen.


 aus scinexx                                                             Axt  aus einem Wikingergrab auf Langeland

Slawische Kriegerin im Wikingergrab? 
Axt slawischer Herkunft in tausend Jahre altem Frauengrab gibt Rätsel auf

Kam sie aus Polen? Auf der dänischen Insel Langeland haben Archäologen das Grab einer Wikingerfrau entdeckt, die mit einer Kriegsaxt begraben wurde. Dies spricht dafür, dass es sich hier entweder um eine Kriegerin handelte oder dass sie diese Axt im rituellen Kontext verwendete. Interessant auch: Weil diese Axt slawischer Machart ist, könnte diese Kriegerin ebenfalls aus dem slawischen Raum stammen. 

Vor rund tausend Jahren dominierten die Wikinger weite Teile Nordeuropas und segelten sogar bis nach Grönland und Nordamerika. Sie unterhielten ein ausgedehntes Handelsnetz, waren aber vor allem als Krieger und räuberische Eroberer gefürchtet. Gängiger Annahme nach war dabei das Kriegshandwerk Männersache, während die Frauen Hof und Kinder versorgten.

Gab es „nordische Amazonen“?

Doch schon vor einigen Jahren haben Archäologen in Skandinavien einige Gräber entdeckt, in denen Wikingerfrauen in vollem Kriegsstaat bestattet worden waren. Eine dieser Kriegerinnen, begraben im schwedischen Birka, muss ihren Grabbeigaben nach sogar eine Art Anführerin oder Offizierin gewesen sein. Stimmen demnach die Legenden von den „nordischen Amazonen“ die an der Seite der Männer kämpften?

Einer der Forscher, die dieser Frage auf den Grund gehen, ist Leszek Gardela von der Universität Bonn. Er hat im Rahmen seiner Studie gezielt nach weiteren Gräbern möglicher Wikingerkriegerinnen gesucht – mit Erfolg. Neben den bereits bekannten 20 Gräbern mit bewaffneten Wikingerfrauen stieß er auf zehn weitere Grabstätten mit Waffen als Grabbeigaben, in denen höchstwahrscheinlich weibliche Tote bestattet lagen.

Slawische Axt im Wikingergrab

Eines dieser Gräber hat sich nun als besonders aufschlussreich erwiesen. In ihm wurde vor rund tausend Jahren eine Frau auf einem Wikingerfriedhof der dänischen Insel Langeland bestattet. Das Ungewöhnliche jedoch: Neben der Toten lagen eine arabische Münze und eine Kriegsaxt. Sie ist die einzige Tote auf dem gesamten Friedhof, die mit einer Waffe beerdigt worden war, wie Gardela berichtet.

Rekonstruktion des Wikinger-Frauengrabes auf Langeland. 

Doch wer war diese Frau? Nähere Untersuchungen enthüllten, dass die Axt kein heimisches Fabrikat war, sondern in ihrer Machart eher den damals im Baltikum verbreiteten Äxten ähnelte. „Bisher war niemandem aufgefallen, dass die Axt in diesem Grab aus dem südlichen Ostseeraum stammte, wahrscheinlich aus dem Gebiet des heutigen Polen“, sagt Gardela.

Eine Kriegerin aus dem südlichen Baltikum?

Der Forscher schließt daraus, dass auch die Tote möglicherweise slawischer Abstammung gewesen sein könnte. „Während des Mittelalters war diese Insel ein wahrer Schmelztiegel von slawischen und skandinavischen Elementen“, erklärt Gardela. „Die Präsenz von slawischen Kriegern war in Dänemark wahrscheinlich größer als lange gedacht – das legen neue Studien nahe.“

Ob allerdings auch die Tote aus Langeland eine slawische Kriegerin war, lässt sich bisher nicht eindeutig sagen, wie Gardela betont. Ihre Gebeine lassen keine Verletzungen erkennen, so dass unklar ist, woran diese Frau vor rund tausend Jahren starb. Die Tote könnte ihre Waffe zu Lebzeiten als Waffe im Kampf verwendet haben. Dafür würden zeitgenössische Berichte über weibliche Kriegerinnen und die anderen Gräber bewaffneter Wikingerfrauen sprechen.

Waffe oder Ritualobjekt?

Denkbar ist aber auch, dass die Axt eher rituellen Zwecken oder der Selbstverteidigung diente. Das allerdings sei damals kein sehr häufiges Phänomen gewesen“, sagt der Archäologe. Seiner Ansicht nach könnte die rätselhafte Tote aus Langeland daher durchaus eine Wikingerkriegerin slawischen Ursprungs gewesen sein. „Es gab damals viele weibliche Kriegerinnen – sie nahmen an Kriegszügen teil und führten sogar ganze Armeen in die Schlacht“, so Gardela.

Quelle: Science in Poland

Freitag, 26. Juli 2019

Den Mutterinstinkt gibt's doch!


aus scinexx

Sitz des Mutterinstinkts entdeckt?
Oxytocin-Neuronen im Hypothalamus könnten mütterliches Verhalten steuern 

Besondere Bindung: Forscher könnten herausgefunden haben, wo mütterliches Verhalten im Gehirn entsteht. Sie identifizierten bei Mäusen eine Region im Hypothalamus, die sich bei Männchen und Weibchen deutlich voneinander unterscheidet. Nur weibliche Tiere verfügen dort über Hirnzellen, die für den Botenstoff Oxytocin sensibel sind. Dieses „Kuschelhormon“ ist bekannt für seine Rolle bei der Mutter-Kind-Bindung.

Oxytocin gilt als Botenstoff mit breitem Wirkspektrum: Die auch als Kuschelhormon bekannte Substanz stärkt unter anderem die Paarbeziehung, wirkt als rosa Brille und hilft bei der Bewältigung von Ängsten. Vor allem aber spielt Oxytocin eine wichtige Rolle für Mütter. Denn das im Gehirn produzierte Hormon löst die Muskelkontraktion bei den Wehen aus, sorgt für den Milcheinschuss und stärkt nach der Geburt die Bindung zum Kind.

Aufgrund dieser besonderen Bedeutung des Neuropeptids für das weibliche Geschlecht vermuten Forscher schon länger, dass sich das Oxytocin-System im Gehirn von Frauen und Männern unterscheidet. „Bisher gab es jedoch keine eindeutigen Belege für diese Annahme“, erklärt Ryoichi Teruyama von der Louisiana State University.

Blick ins Mäusehirn

Um dies zu ändern, haben sich der Forscher und seine Kollegen um Erstautor Kaustubh Sharma nun auf Spurensuche im Denkorgan von Mäusen begeben. Oxytocin entfaltet seine Wirkung, indem es im Gehirn an spezielle Rezeptoren bindet. Für ihre Studie schauten sich die Wissenschaftler daher an, ob diese Oxytocin-Rezeptoren bei männlichen und weiblichen Nagern unterschiedlich verteilt sind.

Mithilfe von Fluoreszenzproteinen dokumentierten sie dabei die genaue Position und Anzahl der Rezeptoren in der sogenannten Area praeoptica (POA) – einer Region im Hypothalamus, die eine Vielzahl wichtiger Körperfunktionen steuert. Auch am weiblichen Zyklus und an mütterlichem Verhalten scheint dieser Hirnbereich beteiligt zu sein.

Neuronen mit Oxytocin-Rezeptoren kamen im AVPV fast ausschließlich bei Weibchen vor. 
 
Oxytocin-Rezeptoren nur bei Weibchen

Die Ergebnisse enthüllten: Vor allem in der mittleren POA war die Anzahl der Oxytocin-Rezeptoren bei den weiblichen Mäusen signifikant größer als bei den männlichen. Diese Differenz kam durch einen frappierenden Unterschied in einem speziellen Gebiet innerhalb dieser Region zustande, wie das Forscherteam berichtet: dem Nucleus periventricularis anteroventralis, kurz AVPV.

Während Mäuseweibchen über zahlreiche Neuronen mit Oxytocin-Rezeptoren im AVPV verfügten, kamen solche Hirnzellen bei den Männchen dort so gut wie gar nicht vor. „Die Präsenz von Oxytocin-Rezeptor-Neuronen im AVPV ist ein fast ausschließlich weibliches Phänomen“, berichten die Wissenschaftler.

Abhängig von Östrogen

Interessanterweise offenbarte sich, dass diese Zellen zusätzlich Rezeptoren für das weibliche Geschlechtshormon Östrogen besaßen. Welche Rolle spielte dieser Botenstoff für das Oxytocin-System? Dies untersuchten die Forscher, indem sie einigen weiblichen Nagern die Eierstöcke entfernten – dort werden die Östrogene hauptsächlich produziert.

Es zeigte sich: In Abwesenheit der weiblichen Sexualhormone bildeten die Neuronen im AVPV auch keine Oxytocin-Rezeptoren mehr. Bekamen die Mäusedamen die fehlenden Hormone dagegen künstlich verabreicht, änderte sich dies. Die Expression der Oxytocin-Rezeptoren war wiederhergestellt.

Rolle für den Mutterinstinkt

„Diese Ergebnisse belegen, dass die Expression von Oxytocin-Rezeptoren im AVPV spezifisch weiblich ist und von Östrogen abhängt“, fassen Teruyama und seine Kollegen zusammen. Ihrer Ansicht nach scheint damit klar: Die auf Oxytocin reagierenden Neuronen in dieser Region des Hypothalamus spielen eine wichtige Rolle für die weibliche Physiologie und das weibliche Verhalten – allen voran den Mutterinstinkt.

„Dieser Zusammenhang könnte nicht nur für Mäuse gelten, sondern für alle Säugetiere, die mütterliche Fürsorge zeigen, einschließlich uns Menschen“, konstatiert Teruyama. Weitere Studien müssen nun jedoch erst zeigen, welche konkreten Funktionen die Oxytocin-Neuronen im AVPV tatsächlich erfüllen.

In diesem Zusammenhang könnte sich auch herausstellen, ob diese Zellen womöglich daran beteiligt sind, wenn sich mütterliche Instinkte nicht einstellen wollen – zum Beispiel im Fall der postnatalen Depression. (PLOS One, 2019; doi: 10.1371/journal.pone.0219784)

Quelle: Louisiana State University

Freitag, 19. Juli 2019

Männer leiden anders.

Frau vergräbt Kopf in den Händen  
aus spektrum.de, 10. 7. 2019, Exklusive Übersetzung aus 
 Nature Übersetzung

Männlicher Schmerz, weiblicher Schmerz
Lange gingen Wissenschaftler davon aus, dass Schmerzempfindungen bei Männern und Frauen auf die gleiche Weise entstehen. Doch das ist ein Irrtum.

von Amber Dance

Eigentlich wollte Robert Sorge im Jahr 2009 Schmerzen bei Mäusen erforschen – doch am Ende war es sein eigener Schädel, der brummte. Der Wissenschaftler hatte an der McGill University in Montreal, Kanada, versucht, Tiere experimentell besonders berührungsempfindlich zu machen, um zu untersuchen, wie eine solche Hypersensitivität entsteht. Anschließend testete er, ob seine Anstrengungen geglückt waren, indem er die Pfoten von Mäusen mit feinen Härchen anstupste, welche die Nager im Normalfall gar nicht stören würden. Die männlichen Nager verhielten sich daraufhin so wie erwartet: Sie zogen ihre Extremitäten schon bei dem geringsten Kontakt zurück.

Anders sah es hingegen bei den Weibchen aus. »Es hat bei ihnen einfach nicht funktioniert«, erinnert sich Sorge, der inzwischen Verhaltensforscher an der University of Alabama in Birmingham ist. Später sollte er gemeinsam mit dem Schmerzexperten Jeffrey Mogil von der McGill University den Grund dafür herausfinden: Offenbar entsteht diese Art von Schmerzüberempfindlichkeit bei männlichen und weiblichen Mäusen auf unterschiedlichen Wegen, an denen auch verschiedene Typen von Immunzellen beteiligt sind.


Sorge und Mogil hätten diese Entdeckung niemals gemacht, wenn sie den gleichen Konventionen gefolgt wären wie die meisten anderen Schmerzforscher. Indem sie sowohl männliche als auch weibliche Tiere in ihre Studien miteinbezogen, schwammen sie gegen den Strom. Damals befürchteten viele ihrer Kollegen, die weiblichen Hormonzyklen würden die Interpretation der Ergebnisse erschweren. Andere arbeiteten ausschließlich mit männlichen Tieren, weil das nun mal so gang und gäbe war.

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Auf einen Blick
Frauen leiden anders
  1. Zahlreiche Erkenntnisse aus der Schmerzforschung fußen auf Versuchen, für die Forscher ausschließlich männliche Labortiere nutzten.
  2. Laut neueren Studien entstehen (chronische) Schmerzen bei männlichen und weiblichen Mäusen jedoch auf unterschiedlichen Wegen. Sogar verschiedene Arten von Immunzellen sind beteiligt.
  3. Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass auch Männer und Frauen Schmerz unterschiedlich verarbeiten. Experten fordern deshalb eine geschlechtsspezifische Medizin.
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Studien wie die von Sorge und Mogil haben ihnen mittlerweile die Augen geöffnet. Und auch in anderen Bereichen drängen Forscher zunehmend darauf, das Geschlecht als eine wichtige Variable in der biomedizinischen Forschung zu betrachten. Seit 2016 verpflichten sogar die US National Institutes of Health (NIH) Wissenschaftler, die sich um Fördergelder bewerben, dazu, die Geschlechterauswahl ihrer Versuchstiere zu begründen.

Das könnte zu neuen medizinischen Fortschritten führen – und die sind bitter nötig: Rund 20 Prozent aller Menschen weltweit leiden an chronischen Schmerzen, die meisten von ihnen sind Frauen. Bislang bieten Arzneimittelhersteller für alle Patienten die gleichen Schmerzmittel an. Doch wenn die Wurzeln der Pein sich unterscheiden, dann könnten manche Medikamente bei einigen Patienten besser wirken als bei anderen.

Schmerz entsteht, wenn neuronale Sensoren in Haut, Muskeln, Gelenken oder Organen einen potenziell schädlichen Sinneseindruck wie zum Beispiel Hitze registrieren. Sie senden die Information über periphere Nerven an das Rückenmark und aktivieren andere Neurone, die das Signal wiederum an den Hirnstamm und an die Großhirnrinde weitergeben, welche es schließlich als »autsch!« interpretiert. Doch Schmerzen sind verschieden, und diverse chemische Pfade wirken an ihrer Entstehung mit. Manche Schmerzarten entstehen als akute Reaktion auf etwas Heißes, Scharfes oder anderweitig Schädliches. Und dann gibt es lang anhaltende, chronische Schmerzen, die auch dann noch bleiben, wenn die ursprüngliche Verletzung längst verheilt ist.

Auf Schmerz gepolt

Chronische Schmerzen können sich in Form von Überempfindlichkeit im Hinblick auf Reize äußern, die üblicherweise gar nicht unangenehm sind, so wie es bei Sorges männlichen Mäusen der Fall war. 2009 ging er gemeinsam mit Mogil chronischen Schmerzen auf den Grund, die durch Entzündungsreaktionen ausgelöst werden. Um die Aufmerksamkeit der Mikroglia zu erregen, die als Immunzellen des zentralen Nervensystems fungieren, injizierten die Wissenschaftler den Nagern ein spezielles bakterielles Molekül in die Wirbelsäule. Das führte jedoch nur bei den männlichen Tieren zu einer Entzündung, die dann dafür sorgte, dass diese wiederum empfindlich auf den eingangs beschriebenen Haarstrichtest reagierten. Die Mikroglia der Weibchen blieben hingegen stumm.

Um besser zu verstehen, wie es zu diesem Phänomen kommt, wandten sich Sorge und Mogil einer Schmerzquelle zu, die alle Mäuse gleichermaßen betrifft: Sie verletzten den Ischiasnerv, der vom unteren Rücken in die Beine hinabläuft, was chronische Schmerzen verursachte, die sowohl männliche als auch weibliche Tiere besonders berührungsempfindlich machten. Doch selbst in diesem Fall stießen die Wissenschaftler auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Mikroglia schienen eine wichtige Rolle bei den Schmerzen der männlichen Mäuse zu spielen, nicht aber bei denen der weiblichen: Ganz gleich, auf welchem Weg die Forscher die Mikroglia ausschalteten, sie konnten damit lediglich die Schmerzempfindlichkeit der Männchen verringern.

Dabei waren die Weibchen keineswegs immun gegen Pein. Die Nervenschädigung plagte sie genauso wie ihre männlichen Artgenossen – allerdings schienen bei ihnen statt Mikroglia andere Immunzellen, die T-Lymphozyten, für das chronische Leiden verantwortlich zu sein. Fügten Sorge und seine Kollegen weiblichen Mäusen ohne T-Zellen die gleiche Nervenverletzung zu, reagierten diese jedoch immer noch überempfindlich auf die feinen Haare: Nun schienen ebenfalls die Mikroglia die Schmerzantwort zu vermitteln. Indem die Wissenschaftler diese Zellen ebenfalls ausschalteten, konnten sie auch die Schmerzen der Weibchen lindern. Übertrugen die Forscher den Nagern wiederum neue T-Zellen, hörten die Tiere wieder damit auf, den Mikroglia-Schmerzpfad zu benutzen.

Wenn Tiere also offenbar dazu in der Lage sind, zwischen verschiedenen Schmerzpfaden hin und her zu wechseln, wie läuft dann das Umschalten ab? Lange Zeit führten Forscher die Geschlechterunterschiede in der Schmerzwahrnehmung auf das Hormon Östrogen zurück, das bei Frauen die Entwicklung der Gebärmutter, der Eierstöcke und der Brüste steuert sowie den Menstruationszyklus reguliert. Es kann Schmerzen verschlimmern oder dämpfen, abhängig von dem Ort, an dem es ausgeschüttet wird, und von seiner Konzentration. Testosteron, das Hormon, das unter anderem an der Entwicklung von Penis, Hoden und Prostata beteiligt ist, hat von Schmerzforschern deutlich weniger Aufmerksamkeit erhalten, obwohl Studien darauf hinweisen, dass es ebenfalls Schmerzen lindern kann, und sich manche Menschen mit chronischen Beschwerden sogar einer Testosteronbehandlung unterziehen.

Im Hinblick auf die Schmerzüberempfindlichkeit scheint es tatsächlich das Testosteron zu sein, das als Kontrollschalter für den Wechsel zwischen den Schmerzpfaden fungiert. 2011 und 2015 beobachtete Sorge kastrierte männliche Mäuse, die lediglich einen niedrigen Pegel des männlichen Sexualhormons aufwiesen. Die Nager zeigten nun ähnliche Reaktionen wie weibliche Tiere. Verabreichten die Forscher ihnen jedoch zusätzliches Testosteron, wurde ihre Schmerzempfindlichkeit wieder durch die Mikroglia gesteuert. Inzwischen mehren sich die Hinweise darauf, dass die Mikroglia – sowie deren Enzyme und Rezeptoren – nicht nur bei männlichen Mäusen eine wichtige Rolle für die Schmerzverarbeitung spielen. Der Neurowissenschaftler Michael Salter, der mit Mogil zusammenarbeitet, entdeckte, dass auch bei männlichen Ratten, die infolge einer Nervenverletzung besonders schmerzempfindlich sind, mikrogliale Rezeptoren am Werk sind. Salter, der am Hospital for Sick Children in Toronto, Kanada, tätig ist, studiert das Phänomen nun auch bei Makaken, deren Schmerzverarbeitung der des Menschen stärker ähnelt.

Spektrum Kompakt:  Schmerz – Neue Wege aus der Pein 
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Die unterschiedlichen Schmerzpfade direkt am Menschen zu untersuchen, ist deutlich schwieriger. Ein Team um den Neuropharmakologen Ted Price von der University of Texas in Dallas hat dennoch Hinweise darauf gefunden, dass auch bei menschlichen Patienten Immunzellen in unterschiedlicher Art und Weise zur Entstehung von Schmerzen beitragen. Die vorläufigen Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichten die Wissenschaftler im März 2019.

Von der Maus zum Menschen

Price und seine Kollegen untersuchten Nervengewebe von Krebspatienten, deren Tumoren in die Wirbelsäule eingedrungen waren. Im Gewebe von männlichen Patienten, die unter Schmerzen litten, stießen die Forscher auf Anzeichen einer Entzündung, die Immunzellen namens Makrophagen ausgelöst hatten, welche eine ähnliche Funktion wie die Mikroglia erfüllen. Bei Frauen mit Schmerzen schienen hingegen eher die Nervenzellen selbst eine entscheidende Rolle zu spielen sowie ein Peptid, welches das Nervenwachstum stimuliert. Zwischen der Schmerzverarbeitung bei Menschen und Mäusen scheint es also gewisse Parallelen zu geben, so Price.

Doch Immunzellen und Hormone können die Geschlechterunterschiede in der Schmerzverarbeitung nicht vollständig erklären. So fand die Biologin Sarah Linnstaedt vom University of North Carolina Medical Center in Chapel Hill Hinweise darauf, dass manche Frauen eine genetische Prädisposition für chronische Schmerzen zu besitzen scheinen. Gemeinsam mit ihrem Team stieß sie auf eine Reihe von RNA-Molekülen im Blut, die in einer höheren Konzentration bei Frauen vorkommen, die nach einem Autounfall chronische Nacken-, Schulter- oder Rückenschmerzen entwickeln. Viele dieser RNA-Moleküle werden von Genen auf dem X-Chromosom codiert, von dem Frauen in der Regel zwei Kopien besitzen. »Das wird uns eines Tages ermöglichen, neue Therapeutika zu entwickeln, die entweder speziell bei Frauen zum Einsatz kommen oder bei ihnen in höheren Dosen genutzt werden können«, glaubt Linnstaedt.


Wie Schmerz entsteht
© Dance, A.: Why the sexes don't feel pain the same way. Nature 567, 2019 (Ausschnitt)
Zwei Wege zur Pein | Verletzungen peripherer Nerven – die Gehirn und Rückenmark mit dem Rest des Körpers verbinden – können zu einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit führen. Bei männlichen Mäusen hängt diese Reaktion von Immunzellen im Rückenmark ab, den so genannten Mikroglia. Bei Frauen sind es die T-Zellen, welche die Schmerzantwort zu kontrollieren scheinen.

Auch andere denken bereits über geschlechtsspezifische Schmerztherapien nach. 2018 entdeckte Price mit seinem Team, dass ein Diabetesmedikament namens Metformin die Mikroglia-Population reduziert, welche die sensorischen Neurone im Rückenmark umgibt. Außerdem konnten die Forscher zeigen, dass das Medikament die Schmerzüberempfindlichkeit nach einem Nervenschaden bei männlichen Mäusen dämpft. »Bei den weiblichen Tieren hat es hingegen nichts bewirkt, es wurde sogar noch ein wenig schlimmer«, sagt Price. Und er hat auch eine Theorie, warum das so ist: Um ins Nervensystem vorzudringen, ist Metformin auf ein Protein angewiesen, dass männliche Zellen in größeren Mengen herstellen. Deshalb brachte es auch nichts, das Medikament den weiblichen Mäusen in höheren Dosen zu verabreichen.

Migränepatientinnen im Vorteil

bei mindestens einem Schmerzmedikament, das sich derzeit auf dem Markt befindet, haben Wissenschaftler Grund zur Annahme, dass es je nach Geschlecht des Patienten ebenfalls unterschiedlich gut wirken könnte. Im Jahr 2018 ließ die U. S. Food and Drug Administration (FDA), die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA, zur Migränebehandlung Antikörper gegen das Peptid CGRP zu, das an der Entstehung der Kopfschmerzen beteiligt ist. Von der Erkrankung sind rund dreimal so viele Frauen wie Männer betroffen.

In einer bislang noch unveröffentlichten Studie an Mäusen und Ratten trug ein Team um Price und Dussor CGRP auf die dicke Membran auf, die das Gehirn umgibt. In weiblichen Tieren rief das Peptid eine Reaktion hervor, die einer Migräne ähnelte: Die Tiere verzogen das Gesicht und reagierten überempfindlich, wenn sie dort berührt wurden. Bei männlichen Nagern passierte hingegen nichts, erklärt Dussor. Moderne Anti-CGRP-Medikamente könnten deshalb bei Frauen besser wirken als bei Männern – in klinischen Studien achtete man auf solche Effekte jedoch nicht.

Gleicher Schmerz, höhere Dosis

Eines der ältesten Schmerzmittel ist Morphin. Frauen müssen meist höhere Dosen einnehmen, damit das Medikament bei ihnen die gleiche Wirkung erzielt wie bei Männern, sagt Anne Murphy von der Georgia State University in Atlanta. Auch dafür sind Mikroglia verantwortlich, wie Murphys Team 2017 berichtete  – allerdings solche im Gehirn und unter umgekehrten Vorzeichen. Der Wirkstoff dämpft Schmerzen, indem er die Nervenzellen im periaquäduktalen Grau, kurz PAG, blockiert. Er kann jedoch auch die Mikroglia aktivieren, was der schmerzlindernden Wirkung zuwiderläuft. Genau das passiert bei weiblichen Ratten, die in der PAG mehr aktive Mikroglia haben als männliche. Bestrahlten die Forscher die Pfoten der Tiere mit einem heißen Lichtstrahl, nachdem sie ihnen Morphin verabreicht hatten, zogen die Weibchen ihre Beine schneller zurück als die Männchen. Blockierten sie hingegen den Effekt von Morphin auf die Mikroglia, reagierten alle Tiere in ähnlicher Weise.  


Das ist typisch für viele Arzneimittelstudien. Sie schließen zwar meistens Männer und Frauen gleichermaßen mit ein, doch oft ist die Probandenzahl nicht groß genug, um geschlechtsspezifische Unterschiede auszumachen. Es könnte sogar sein, dass Schmerzmedikamente, die in der Vergangenheit in klinischen Studien durchfielen, sich als Erfolg versprechend erwiesen hätten, wenn man sie bei Männern und Frauen separat getestet hätte, meint Price.

Sicherheit geht vor

Iain Chessel vom Pharmakonzern AstraZeneca würde gern ein Schmerzmittel entwickeln, das nur bei Menschen eines Geschlechts wirkt. Doch das Geschlecht der Probanden in klinischen Studien und Tierversuchen wird sowohl von der Praktikabilität als auch von moralischen Bedenken und staatlichen Vorschriften bestimmt. AstraZeneca verwendet für die meisten Untersuchungen im Bereich der präklinischen Schmerzforschung weibliche Nager, weil diese weniger aggressiv und leichter zu halten sind als Männchen. In den ersten klinischen Tests steht die Sicherheit der Teilnehmer im Vordergrund, weshalb Personen, die schwanger werden können, häufig ausgeschlossen werden. Die meisten Medikamente werden deshalb an Männern und an Frauen jenseits der Menopause getestet.
 
Und selbst wenn es Forschern irgendwann gelingen sollte, Arzneimittel zu entwickeln, die speziell auf männer- oder frauenspezifische Schmerzpfade zugeschnitten sind, reicht das womöglich nicht aus. Stattdessen könnte es von Vorteil sein, Medikamente noch stärker an den Patienten anzupassen und auch dessen Gene, Hormonlevel und anatomische Entwicklung zu berücksichtigen. Nur wenige Wissenschaftler haben sich bislang mit den Schmerzmechanismen bei solchen Menschen auseinandergesetzt, die sich nicht so einfach in die Kategorien Mann und Frau einordnen lassen. 
 
Italienische Forscher befragten für eine Untersuchung Transgender-Personen, die sich gerade einer Hormonbehandlung unterzogen. 11 von 47 Personen, die vom männlichen zum weiblichen Geschlecht wechselten, berichteten von Schmerzen, die nach dem Übergang auftraten. 6 von 26 Personen, die vom weiblichen zum männlichen Geschlecht wechselten, berichteten hingegen, dass etwaige Schmerzleiden nach der Einnahme von Testosteron nachließen.


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Aus seinen Versuchen mit weiblichen und männlichen Mäusen schließt Mogil, dass der Hormonlevel bestimmt, welcher Schmerzpfad genutzt wird. Vermutlich entstehen demnach Schmerzen bei Menschen, deren Testosteronkonzentration über einem bestimmten Schwellenwert liegt, über den typisch männlichen Verarbeitungsweg, während Personen mit niedrigem Testosteronspiegel sich schmerztechnisch eher wie Frauen verhalten.

Schmerzreaktionen scheinen sich außerdem im Lauf des Lebens zu verändern – und zwar immer dann, wenn der Hormonpegel steigt oder sinkt. So nehmen Schmerzzustände bei Mädchen in der Pubertät stärker zu als bei Jungen. Wenn Menschen älter werden – und manche von ihnen in die Menopause kommen –, ändert sich der Hormonspiegel erneut, und die Geschlechtsunterschiede im Hinblick auf chronische Schmerzen beginnen wieder zu verschwinden. Auch eine Schwangerschaft verändert die Schmerzverarbeitung. 2017 fanden Mogil und seine Kollegen heraus, dass Mäuse in der Frühphase einer Schwangerschaft vom »weiblichen«, von den Mikroglia unabhängigen Schmerzpfad zu einer eher männlichen, auf Mikroglia basierenden Schmerzverarbeitung wechseln. Ist die Schwangerschaft erst einmal weit fortgeschritten, scheinen die Tiere überhaupt keine chronischen Schmerzen mehr zu verspüren.

Inzwischen interessieren sich immer mehr Wissenschaftler für solche Geschlechtsunterschiede. Auch Mogil stellt das fest: »Die Leute stoßen nun überall darauf. Ich glaube, dass wir bislang nicht einmal die halbe Wahrheit kennen.«

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel »Why the sexes don't feel pain the same way« bei »Nature« erschienen.

Montag, 15. Juli 2019

Kindsmord auch durch Weibchen.


aus scinexx                                                 Grausamer als ihr Ruf: Erdmännchen-Weibchen werden mitunter zu Kindsmörderinnen.

Kindsmord auch durch Weibchen
Weibliche Säugetiere töten Nachwuchs von Konkurrentinnen 

Nicht nur Männersache: Infantizide sind bisher vor allem von männlichen Säugetieren bekannt – doch auch Weibchen werden mitunter zu Kindsmörderinnen. Wie eine Studie zeigt, töten zum Beispiel weibliche Erdmännchen oder Paviane fremde Jungtiere. Dabei machen sie selbst vor Verwandten nicht halt. Durch dieses Verhalten schalten die Weibchen offenbar Konkurrenten aus, die dem eigenen Nachwuchs lebenswichtige Ressourcen streitig machen könnten.

Kindsmord ist im Tierreich gang und gäbe: Vor allem von männlichen Säugetieren ist bekannt, dass sie immer wieder fremde Jungtiere töten. Löwen, Braunbären und Männchen vieler anderer Arten sichern sich auf diese Weise den Zugang zu paarungsbereiten Weibchen und die Weitergabe ihrer eigenen Gene. „Bei manchen Säugetierarten ist Kindstötung sogar die häufigste Todesursache bei Jungtieren“, berichten Dieter Lukas vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Elise Huchard von der Universität Montpellier.

Doch verüben wirklich nur männliche Tiere diese grausam wirkenden Taten? Mitnichten, wie nun eine Untersuchung der beiden Wissenschaftler zeigt. Sie haben Beobachtungen zusammengetragen, die belegen: Bei vielen Säugetierspezies töten auch Weibchen den Nachwuchs von Konkurrentinnen. So kommt diese Form des Infantizids zum Beispiel bei Erdmännchen, Pavianen und Schimpansen vor.

 Werden die Ressourcen knapp, töten auch weibliche Paviane fremde Jungtiere. 

Vorteile für die eigenen Zöglinge

Welcher Sinn aber steckt hinter diesen Kindsmorden? „Bei Weibchen findet man Kindstötungen häufiger bei Arten, die unter schwierigen Bedingungen leben und bei denen das Austragen und die Aufzucht der Nachkommen mit besonders hohen Kosten verbunden sind“, erklärt Huchard. In Situationen, in denen der Wettbewerb um Nahrung und andere Ressourcen hart ist, könnten Infantizide einzelnen Weibchen demnach Vorteile verschaffen.

Lebt eine Spezies zum Beispiel territorial und sind die Weibchen auf einen bestimmten Brutort oder Bau angewiesen, können sie durch Kindstötungen benachbarte Familien aus der Gegend vertreiben und ihr eigenes Revier vergrößern. Wenn Weibchen Aufzuchtsorte gemeinsam nutzen und sich auch die Erziehung des Nachwuchses teilen, haben Infantizide dagegen andere Vorteile: Sie verhindern dann, dass fremde Nachkommen den eigenen Kindern die Milch stehlen und tragen dazu bei, dass diese mehr Zuwendung durch fremde Mütter erhalten. In sozialen Gruppen können Infantizide zudem der Beseitigung potenzieller Rivalen im Kampf um einen besseren Sozialstatus dienen.

Großmutter tötet Enkel

„All diesen Umständen ist eines gemein: Eine Kindstötung erfolgt häufig dann, wenn die Anwesenheit fremder Nachkommen den Fortpflanzungserfolg eines Weibchens direkt gefährdet. Dies kann der Fall sein, wenn fremde Jungtiere den Zugang zu Ressourcen einschränken, die für den eigenen Nachwuchs lebenswichtig sind – zum Beispiel den Zugang zu Brutorten, Milch, Zuwendung und sozialem Status“, fasst Huchard zusammen.

Überraschenderweise machen die Weibchen in solchen Situationen selbst vor Verwandten nicht halt: „Weibchen begehen etwa genauso häufig Infantizid, unabhängig davon, ob sie mit eng verwandten oder mit nicht verwandten Artgenossen zusammenleben“, berichtet Lukas. So wurde wiederholt beobachtet, dass Großmütter ihre Enkel oder Tanten ihre Nichten töten – unter anderem bei Erdmännchen.

„Dass Weibchen sogar bereit sind, die Nachkommen naher Verwandter zu töten, zeigt, dass der Nutzen für sie selbst und die eigenen Nachkommen den Schaden ausgleicht, den sie einem Familienmitglied zufügen“, sagt Lukas. (Philosophical Transactions of the Royal Society B, 2019; doi: 10.1098/rstb.2018.0075)

Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Donnerstag, 4. Juli 2019

Männliche und weibliche Gehirne.

aus spektrum.de, 3.07.2019

Konnektom
Erste neuronale Karte für beide Geschlechter
Mehr als 30 Jahre lang fehlte dem »Wurmatlas« der Kopf eines Männchens. Jetzt haben Forscher auch dessen Nervensystem mitsamt seinen Schaltstellen kartiert.

von Christiane Gelitz

Es geht um ein weißliches Würmchen, kaum sichtbar fürs menschliche Auge: Caenorhabditis elegans lautet sein lateinischer Name und ausgewachsen ist es gerade mal einen Millimeter lang. Ein vollständiges »Konnektom« beider Geschlechter, also ihrer Nervensysteme mit sämtlichen Verknüpfungen, haben Forscher um den Genetiker Scott Emmons vom Albert Einstein College of Medicine in New York jetzt erstmals in »Nature« beschrieben.

Emmons und sein Team bauten auf einen mehr als 30 Jahre alten »Wurmatlas« auf, für den der verstorbene britische Biologe Sydney Brenner einen Nobelpreis erhalten hatte: die erste Konnektomkarte von C. elegans, veröffentlicht 1986 mit dem Untertitel »The Mind of a Worm«. Brenners Labor hatte dazu tausende elektronischer Fotos angefertigt und in mühevoller Handarbeit rund 5000 chemische Synapsen identifiziert.

Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans<

Der Standardwurm

Die Karte bildete allerdings nur das weibliche Nervensystem ab; beim Männchen fehlte ausgerechnet der Kopf, die Informationsverarbeitungzentrale. Emmons und sein Team ergänzten und überarbeiteten die vorliegenden Aufnahmen mittels Elektronenmikroskopie sowie moderner Software und kreierten so ein komplettes Konnektom beider Geschlechter. 91 der 385 Neurone des Männchens fanden sie ausschließlich bei diesem; umgekehrt gab es 8 von 302 Neuronen des Hermaphroditen, dem Äquivalent zum Weibchen, nur in dessen Nervensystem.

Die Forscher lokalisierten außerdem zuvor übersehene Verbindungsstellen und schlossen aus der Größe der Synapsen auf die Stärke der Verknüpfungen. Bei bis zu 30 Prozent dieser Verknüpfungen fanden sie beträchtliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und das nicht nur im Zusammenhang mit den Fortpflanzungsorganen, sondern auch am Kopf – eine mögliche Basis für geschlechtsspezifisches Verhalten, wie die Forscher vermuten.


Spektrum Kompakt:  Das Konnektom
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Das Würmchen dient den Neurowissenschaften häufig als Modellorganismus, also als Versuchskaninchen. Sein komplettes Konnektom soll jene Schaltkreise zu identifizieren helfen, die das Verhalten der Tiere steuern, und womöglich auch Erkrankungen erklären können – sowie auf das menschliche Nervensystem schließen lassen. Es helfe »zu verstehen, wie die Funktionen des Gehirns aus seiner Form heraus erwachsen«, kommentiert in »Nature« Douglas Portman von der University of Rochester, der das Würmchen ebenfalls erforscht. Zum Verständnis des Ganzen reiche das aber nicht: »Das Konnektom ist nur eine Karte der Möglichkeiten«, schreibt Portman. Unter anderem sei das Ausmaß der individuellen Unterschiede noch unbekannt. Obwohl es sich um einen vergleichsweise einfachen Organismus handelt, ähnele das Netzwerk zudem weniger einem geordneten elektronischen Verschaltungsschema als »den Spinnenweben in einer Besenkammer«.

Die Autoren selbst äußern sich ebenfalls vorsichtig. Die Funktion einiger Neurone lasse sich aus ihrer Verschaltung ableiten, etwa aus den Positionen und Strukturen ihrer Synapsen, erklären sie. In welchem Ausmaß sich die Unterschiede im Verhalten einzelner Würmer auf Unterschiede in der Verschaltung zurückführen lassen, sei noch unklar. Das struktu- relle Konnektom könne nur einen Teil der Kommunikation im Netzwerk abbilden, denn Botenstoffe wie Neurotransmitter, Neuropeptide und Hormone kontrollieren den Informationsfluss auf einer zweiten Ebene. Es sei nicht mehr als ein Schnappschuss einer dynamischen Struktur.


Nota. - Ja ja gewiss, das beweist noch gar nichts. Aber es hält alle Möglichkeiten offen. Allerdings nicht alle gleich weit offen. Dass die Unterschiede in Konnektom keine Unterschiede in Leistung und Verhaltensdisposi- tion begründen, ist jedenfalls weniger wahrscheinlich, als dass.
JE