aus Tagesspiegel.de, 1. 2. 2017
Früh gelernte Stereotypen
Schon sechsjährige Mädchen denken bei einer „schlauen Person“ eher an einen Mann.
von Adelheid Müller-Lissner
Stereotype
sind starre Vorstellungen darüber, was auf einem bestimmten Gebiet
„typisch“ ist. Sie helfen uns, die Welt grob zu ordnen, können uns aber
zugleich daran hindern, ihre Reichhaltigkeit genau und unvoreingenommen
anzuschauen. Feste Vorstellungen über Eigenarten von Männern und Frauen
sind ein Paradebeispiel.
Sie entwickeln sich früh, wie
eine Studie belegt, deren Ergebnisse gerade im Wissenschaftsmagazin
„Science“ veröffentlicht wurden. Ungefähr mit sechs Jahren beginnen
Kinder demnach, ein besonders bedeutsames Geschlechter-Stereotyp zu entwickeln: Die Kinder trauen ab diesem Alter intellektuelle Überflieger-Qualitäten eher den Männern zu.
Die Psychologin Lin Bian und ihre Mitstreiter von den Universitäten in
Illinois, New York und Princeton haben zum Thema vier
Einzeluntersuchungen mit Mädchen und Jungen im Alter von fünf, sechs und
sieben Jahren unternommen. Zunächst wurde 96 Kindern die Geschichte von
einer Person erzählt, die sich „sehr, sehr schlau“ verhalten habe.
Anschließend wurden ihnen Bilder von Männern und Frauen gezeigt, die
alle gleich gut gekleidet und gleich attraktiv waren. Auf die Frage,
welche dieser Personen die besonders schlaue Figur der Geschichte sei,
tippten die kleineren Jungen und Mädchen allesamt eher auf eine Person
ihres eigenen Geschlechts.
Kleine Kinder sehen das eigene Geschlecht in besonders positivem Licht - auch Mädchen
Das passt gut zur bekannten Tendenz von Kindern, das eigene Geschlecht
in einem besonders positiven Licht zu sehen. Und es setzte sich bei den
Jungen später fort: Auch die Sechs- bis Siebenjährigen hielten durchweg
einen der abgebildeten Männer für den genialen Typen. Die älteren
Mädchen allerdings hielten mehrheitlich dafür, dass die „smarte“ Person
aus der Erzählung ein Mann sein müsse. Diese Befunde bestätigten sich in
einer zweiten Studie mit 144 Kindern.
Mit einer dritten
Teiluntersuchung wollten die Forscher herausfinden, ob sich die
kindliche Hypothese, eine besonders schlaue Person müsse mit großer
Wahrscheinlichkeit ein Mann sein, auch auf ihre Interessen auswirkt. Sie
stellten den größeren Kindern deshalb zwei neue Spiele vor. Das eine
mit der Bemerkung, es sei für „sehr, sehr schlaue Kinder“ gedacht. Das
andere mit der Vorrede, es eigne sich besonders für „Kinder, die sich
wirklich sehr anstrengen“. Während das zweite Spiel alle Kinder
interessierte, ließen auffallend viele Mädchen von dem ersten lieber die
Finger. Hier ließen sich klare Zusammenhänge zu den geäußerten Geschlechter-Stereotypen
erkennen. Mit einer vierten Untersuchung ließ sich anschließend
belegen, dass fünfjährige Jungen und Mädchen weder solche Überzeugungen
noch unterschiedliche Grade von Neugier gegenüber unbekannten Spielen
hegen.
Mädchen treten oft bescheidener auf
Die Forscher
folgern: „Viele Kinder machen sich die Idee, dass intellektuelle
Brillanz eine männliche Qualität ist, schon in jungen Jahren zu eigen.“
Weitere Studien müssten aber zeigen, ob das auch für Heranwachsende aus
anderen Ländern stimmt. Zur Frage, was dahintersteckt, wenn Kinder eine
solche Vorstellung schon in so zartem Alter entwickeln, macht die
empirische Studie zudem keine Aussagen.
Liegt es
womöglich am größeren Selbstbewusstsein der Jungen, an größerer
Bescheidenheit bei den Mädchen? Beide Unterschiede wurden schon in
etlichen Studien gefunden, wobei jedoch unklar ist, welche Rolle dafür
die Erziehung und welche die Biologie spielt. Da die Idee von der
intellektuellen Überlegenheit der Männer sich mit sechs Jahren zu
entwickeln scheint, liegt es nahe, sie mit dem Schulbeginn in Verbindung
zu bringen. Aber ausgerechnet in der Schule machen die Mädchen
bekanntlich meist gute Erfahrungen, tun sich leichter, den Anforderungen
im Hinblick auf Sprache, Feinmotorik und Sozialverhalten zu genügen. In
der „Science“-Studie stellte sich nebenbei zudem heraus, dass die
sechs-bis siebenjährigen Mädchen sich und anderen Schülerinnen
schulische Top-Leistungen durchaus zutrauen – sogar eher als die
gleichaltrigen Jungen ihren Geschlechtsgenossen. Gute Noten bringen sie
allerdings nicht mit herausragender Schlauheit in Verbindung.
Womöglich verlangen Eltern mehr von Mädchen
Ein erstaunlicher Befund. Eine mögliche Erklärung lässt sich aus
Überlegungen der Entwicklungspsychologin Doris Bischof-Köhler zu
Geschlechterunterschieden ableiten. Weil weibliche Babys und Kleinkinder
– im Schnitt! – schon bei der Geburt biologisch reifer sind und sich
später mit weniger Mühe in ihre Lebenswelt einfügen, verlangten Eltern –
und später auch Lehrerinnen und Lehrer – mehr von ihnen, nähmen
erbrachte Leistungen aber anschließend ganz selbstverständlich hin.
Mädchen haben es demnach schwerer, mit ihrem Intellekt zu glänzen. Und
haben deshalb womöglich auch weniger Zutrauen in die diesbezügliche Brillanz von Geschlechtsgenossinnen.
Nota. - Also Jungen gelten als schlauer, Mädchen als fleißiger. Vorteile haben davon Madchen: Sie erhalten bessere Zensuren, gelten als die besseren Schüler und verbinden auch selber den schulischen Erfolg nicht mit Klugheit, sondern mit Fleiß. Welchen Denkauftrag erkennt darin Frau Adelheid Müller-Lissner? Sie will ergründen, ob diese Benachteili- gung biologisch oder sozialisatorisch zu erklären sei, aber bei der biologischen Variante hält sie sich gar nicht erst auf, sondern wendet sich gleich der sozialisatorischen zu und wird dort auch fündig: Weil Mädchen früher reifen, wird 'mehr von ihnen verlangt'.
Wie wär's mit folgenden Denkversuchen: Weil Jungen ungestümer und weniger angepasst sind, traut man ihnen größeren Einfallsreichtum zu - ?
Jungens haben mehr Einfälle, darum sind sie ungestümer und weniger angepasst.
Jungen sind klüger, aber das nützt ihnen nichts; belohnt werden Fleiß und Anpassung, damals wie heute.
Weil Jungen ungestümer und unangepasster sind, ließ man ihrer Erziehung Jahrtausende lang mehr Sorgfalt angedeihen: mit Stock und Riemen; mann hat eben weniger von ihnen verlangt. Daher sind sie selbstbewusster, Mädchen wurden vernachlässigt und sind bescheidener.
*
Frau Müller-Lissner, lesen Sie Ihre gegenderte Seiche eigentlich nochmal durch, bevor Sie sie bei Ihrer RedaktionIn abgeben? Und - wichtiger - liest Ihre RedaktionIn sie durch, bevor sie sie in den Druck gibt?!
JE
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