aus Die Presse, Wien, 11.02.2017 Codex Manesse, Sängerkrieg auf der Wartburg
Heimliches Sehnen, Werben um Liebe In der mittelalterlichen Dichtung steht die Frau auf einem Podest, unerreichbar für den Mann. Die Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts geben Einblick in die höfische Kultur.
von Erich Witzmann
Zumeist handelt es sich um eine wehmütige Klage über unerfüllte Liebe. Warum steht die Frau höher als der Mann, ist für diesen unerreichbar, warum ist die Liebe unerfüllbar, wie dies die Minnesänger des Mittelalters vortrugen? „Die Frau steht auf einem Podest, das sind die Spielregeln der hohen Liebe“, sagt die Altgermanistin Christine Glaßner und fügt gleich einen Bezug zu unserer Zeit an: Der Charakter der damals besungenen Liebe sei ähnlich wie in den Texten des 2011 verstorbenen Ludwig Hirsch, dessen heute noch gespielte Lieder auch von Melancholie und einer Todesaffinität geprägt seien.
Werner von Teuffen
Christine Glaßner hat im Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die großen mittelhochdeutschen Liedersammlungen durchforstet. An erster Stelle steht der „Codex Manesse“, auch als Große Heidelberger Liederhandschrift bezeichnet. Die um das Jahr 1300 in Zürich von der Patrizierfamilie Manesse initiierte Anthologie von 140 Dichtersammlungen und versehen mit 138 Miniaturen (mit Nachträgen bis circa 1340) befindet sich nach einer wechselvollen Geschichte ihrer Besitzer heute in der Bibliothek der Universität Heidelberg. Für ÖAW-Forscherin Glaßner bietet der „Codex Manesse“ Einblick in die Anfänge weltlicher Liedkunst um die Mitte des 12. Jahrhunderts.
Herr Wachsmut von Mühlhausen
Die Sänger waren selbst Adelige
Der umfassende Überblick über die mittelhochdeutsche Minnelyrik wird noch durch drei weitere Liedersammlungen möglich: Schon im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts wurde die Kleine Heidelberger Liederhandschrift (ebenfalls in der Uni-Bibliothek Heidelberg) angelegt, im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts folgten die Weingartner oder Stuttgartner Handschrift (heute in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart) und die Jenaer Handschrift (heute in der Uni-Bibliothek Jena).
Kraft von Toggenburg
Die Dichter kommen aus den unterschiedlichen Gegenden – so wird die Herkunft von Walther von der Vogelweide in Südtirol verortet (wenn auch andere Regionen den Geburtsort beanspruchen), Wolfram von Eschenbach stammt aus Mittelfranken, Der von Kürenberg (so die Namensbezeichnung) wahrscheinlich aus Oberösterreich. Die Herkunft wird von den Altgermanisten meist aus den Liedtexten erschlossen. Allen gemeinsam ist, dass sie von Hof zu Hof zogen und ihre Dichtungen einer höfischen Gesellschaft gesungen vortrugen. Die Sänger selbst gehörten dem niederen, manchmal auch dem höheren Adel an. Erst ab dem Spätmittelalter (14. Jh.) habe es eigene Spielmänner gegeben, sagt Glaßner.
Herr Konrad von Altstetten
Minnesang ist Liebesdichtung. Christine Glaßner: „Es ist adelige Gesellschaftskunst, in der in einer festgelegten Form öffentlich über das Thema geredet und gesungen wurde.“ Wobei man im Mittelhochdeutschen auch dem Wort Liebe begegnet. Minne bedeutet damals „das liebende Gedenken“, während Liebe „Wohlgefallen, Freude, Freundlichkeit“ ausdrückt. Die Themen des Minnesangs, so die Altgermanistin, sind heimliches Sehnen und Begehren, Werbung, Hoffnung auf Erhörung, erfülltes Liebesglück oder – weit häufiger – wehmütige Klage über unerfüllte Liebe oder Trennung. In sogenannten Frauenstrophen kommen auch Frauen zu Wort, allerdings wurden diese von Männern gedichtet und vorgetragen.
Otto von Brandenburg
Deftige Szenen waren seltener
Nicht oft, aber manchmal konnte es auch deftiger werden. Von Walther von der Vogelweide, dem bedeutendsten Lyriker des Mittelalters – seine Lieder sind in der Großen Heidelberger, der Kleinen Heidelberger und der Weingartner Liederhandschrift enthalten – ist beispielsweise das Lied „Unter der Linden“ überliefert. „Dass er bei mir lag, / wüsste das jemand / das verhüte Gott!, so würde ich mich schämen. / Was er mit mir machte, / niemals finde einer das heraus, außer ihm und mir / und einem kleinen Vöglein, / tandaradei / Das aber kann schweigen“, so die letzte Strophe des „Linden“-Liedes (aus dem Mittelhochdeutschen von Horst Brunner, Uni Würzburg).
Herr Alram von Gersten
Durch die Handschriften blieb die Minnelyrik erhalten und wurde weiter gesungen und vorgetragen. Das „Linden“-Lied von Walther von der Vogelweide hat etwa der im Ersten Weltkrieg gefallene und seinerzeit überaus populäre Hermann Löns gleich in zwei seiner Lieder („Rose weiß, Rose rot“ und „Grün ist die Heide“) wiedergegeben.
Herr Gottfried von Neiffen
Sämtliche Abbildungen aus dem Codex Manesse; sie zeigen die Sänger mit ihren Damen.
Nota. - Minne- und Troubadourslyrik zeugen in ihrer Tonlange von einer fast heidnischen Vergötzung von dere vrouwe, ebenso wie der Marienkult der römischen Kirche. Das hindert gesinnungsstarke Feministinnen nicht daran, in ihnen ein Zeugnis der jahrtausendealten Unterdrückung der Frau zu erkennen.
JE
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