Dienstag, 7. Februar 2017

Anpassen oder widerstehen.


aus Die Presse, Wien, 07.02.2017 um 10:09

Frauen und Männer reagieren bei Stress unterschiedlich
Woher die Unterschiede kommen? Vielleicht, daher, dass Männer eher zwischen Kampf oder Flucht entscheiden, während Frauen sich mit den Umständen arrangieren. 

Obwohl sich Frauen und Männer durch eine Aufgabe gleichermaßen gestresst fühlen, kann ihre Reaktion darauf sehr unterschiedlich auszufallen. Ein Forschungsteam um die an der Uni Tübingen tätige österreichische Psychologin Birgit Derntl hat einige Erkenntnisse dazu zusammengetragen, die den Einfluss des Selbstwerts, der Hormone und vor allem des Umgangs mit Stress zeigen.

So setzte das Forschungsteam beispielsweise jeweils 40 Frauen und Männer verschiedenen stressreichen Situationen aus. Einmal wurde durch eine fordernde Rechenaufgabe Leistungsstress erzeugt. Ein andermal wurde sozialer Stress durch Ausgrenzung ausgelöst. Entgegen der Erwartung, dass vor allem sozialer Ausschluss Frauen stärker stressen sollte als Männer, gaben beide Geschlechter unter beiden Bedingungen im Schnitt gleichermaßen an, dass sie durch die Aufgaben gestresst wurden. 

Einfluss des Stressbewusstseins

Sehr unterschiedlich sah das Bild bei der Hormonausschüttung aus: Das oft als ultimativer Indikator von Stressreaktionen angesehene Hormon Kortisol war nämlich nur bei den untersuchten Männern angestiegen. Die Studie lege also nahe, dass subjektiv empfundener Stress nicht immer in eine Erhöhung des Kortisolspiegels münden muss, wie Derntl erklärte.

Im Rahmen einer weiteren Studie ging es um den Einfluss des Selbstbewusstseins auf das Stressempfinden. Bei wenig selbstbewussten Frauen waren Kontrollareale des Gehirns stärker aktiv. Für sie stand demnach das Ziel im Vordergrund, die Aufgabe gut zu erfüllen. Bei Männern waren wiederum Teile des Gehirns aktiviert, die in Verbindung mit Selbstbezug und Emotionen stehen.

Kampf oder Flucht versus Arrangieren mit den Umständen

Ein durchgehend stimmiges Theoriegebilde, in das all diese Unterschiede passen, gebe es noch nicht, wie Derntl erklärte. Eine mögliche Begründung für diese auch für die Forscherin teilweise überraschenden unterschiedlichen Reaktionen von Frau und Mann könnte sein, dass Männer in Stresssituationen eher nach dem Prinzip "Fight-or-flight" (Kampf oder Flucht) handeln. Frauen könnten wiederum stärker eine "Tend-and-befriend"-Strategie fahren, bei der eher versucht wird, sich mit den Umständen zu arrangieren und anzufreunden - eine Theorie, die die US-Psychologin Shelley Taylor im Jahr 2000 aufstellte.

Beim Empfinden kein Geschlechterunterschied

Mit der Teilung in Leistungs- und sozialen Stress wollten die Forscher um Derntl auch genau diesen Geschlechter-Stereotypen nachgehen. Ganz so klar zeigte sich die Unterscheidung allerdings nicht, "weil wir oftmals auch gar keinen Geschlechterunterschied gefunden haben, etwa in den Angaben zum subjektiven Stressempfinden".

Angesichts der Ergebnisse sollte die Auseinandersetzung mit Stress jedenfalls differenzierter geführt werden, so Derntl. Das gelte auch für die generelle Bewertung des Phänomens. In der landläufigen Betrachtung würden nämlich vor allem von kurzfristigem Stress ausgelöste positive Effekte kaum Beachtung finden. Die Aussage "Ich bin gestresst" könne viele unterschiedliche Bedeutungen haben: "Das kann heißen, dass einem gerade alles über den Kopf wächst oder man im positiven Sinne gerade sehr begehrt ist", gab die Forscherin zu bedenken. (APA) 

Nota. - Zu bedenken: Auch Flucht ist eine aktive Antwort auf eine Situtation, keine passive.
JE 


aus scinexx

Stress: Das Geschlecht macht den Unterschied
Männer und Frauen reagieren auf stressige Situationen anders

Männer und Frauen ticken anders – auch in Sachen Stress. Forscher haben nachgewiesen, dass der Körper auf stressige Situationen je nach Geschlecht unterschiedlich reagiert: Beispielsweise schüttet er andere Hormone aus. Auch bei der Stressbewältigung stellten die Wissenschaftler deutliche Unterschiede fest. Im Experiment konnten männliche Probanden ihre negativen Gefühle besser kontrollieren als ihre weiblichen Mitstreiter.

Stehen wir häufig unter Stress, hat dies Folgen für Körper und Geist: Die Belastung macht vergesslicher, schwächt unsere Selbstkontrolle und kann im Alter sogar die Anfälligkeit für Demenz erhöhen. Zu viel Stress schadet uns demnach – das gilt für Männer wie Frauen gleichermaßen. Doch es gibt auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Denn wie Menschen diesen Stress empfinden und darauf reagieren, das hängt wesentlich davon ab, ob sie männlich oder weiblich sind.
 

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist beispielsweise bekannt, dass das Stresshormon Cortisol bei Frauen und Männern unterschiedlich aktiviert wird. Das ist aber nur eine Komponente in einem großen Gefüge: "Stress wird von vielen Faktoren beeinflusst", sagt Birgit Derntl von der Eberhard Karls Universität in Tübingen.
 
Gleiches Empfinden, andere Körperreaktion

Die Wissenschaftlerin wollte deshalb wissen: Lassen sich gängige Geschlechterstereotype bei einem Stresstest mit männlichen und weiblichen Probanden bestätigen? Und welche Faktoren beeinflussen das subjektive Stressempfinden konkret? Um dies zu überprüfen ließen die Psychologin und ihre Kollegen Männer und Frauen zwei stressige Aufgaben bewältigen: Die Probanden sollten zunächst unter Zeitdruck Rechenaufgaben lösen. Anschließend mussten sie ein virtuelles Ballspiel spielen, bei dem sie permanent ausgegrenzt wurden, also sozialen Stress erlebten.

 

Das Ergebnis: "Beide Geschlechter haben die Aufgaben als aufreibend erlebt, egal wie gut die Leistung war", berichtet Derntl. Doch obwohl das Empfinden bei Männern und Frauen ähnlich war, offenbarten sich im Körper deutliche Unterschiede. So stieg das Cortisol bei den männlichen Testpersonen an, nicht aber bei den weiblichen. Auch ein Blick ins Gehirn der Teilnehmer zeigte eine andere Reaktion: Bestimmte Areale waren nur bei den Männern stärker aktiviert.
 
Stress auch ohne Cortisolanstieg

"Das spricht dafür, dass wir mit solchen Aufgaben unterschiedlich umgehen – und es zeigt, dass Stress nicht unbedingt einen Cortisolanstieg zur Folge haben muss. Doch warum das so ist, dazu gibt es noch viel Klärungsbedarf", sagt Derntl.

 

Womöglich könnten zusätzlich andere Hormone beim Stressempfinden mitmischen, glaubt die Expertin. Im sozialen Stresstest zeigte sich zum Beispiel, dass bei den Probanden auch die Konzentration von Geschlechtshormonen im Blut zunahm: Bei den Männern stieg das Testosteron, bei den Frauen Progesteron. Progesteron gilt als Botenstoff, der für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wichtig ist. "Der Anstieg könnte die Verunsicherung bei Frauen ausdrücken", sagt Derntl.
 
Männer können Emotionen besser kontrollieren

Auch beim bewussten Umgang mit einer stressigen Situation verhalten sich Frauen anders als Männer, wie eine weitere Untersuchung des Teams offenbarte. Dafür mussten die Probanden wieder bestimmte Leistungsaufgaben bewältigen – sie wurden zuvor jedoch aufgefordert, sich durch negative Gefühle während der Bewältigung der Aufgabe nicht zu belasten.

 

Bei Frauen klappte das offenbar schlechter als bei Männern. Bei ihnen kam es im Vergleich zu einer erhöhten subjektiven Stressreaktion. Diese spiegelte sich auch in den Gehirnarealen wider, die für Aufmerksamkeit, Emotionen und Belohnung relevant sind. "Entgegen unserer Erwartung sind die Frauen mit der Aufgabe, Emotionen zu kontrollieren, nicht so gut zurechtgekommen", so Derntl.
 
Faktor Selbstwertgefühl

Doch nicht immer macht das Geschlecht den Unterschied: Ein weiterer Faktor, den sich das Forscherteam näher angesehen hat, war das Selbstwertgefühl. Dieses wurde zunächst mithilfe eines Fragebogens erhoben. Das Ergebnis: Selbstbewusstsein spielt im Umgang mit Stress eine wichtige Rolle – und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

 

Bei beiden Geschlechtern beeinflusste der Selbstwert die Stressreaktion. Allerdings offenbarten sich dabei dann doch wieder geschlechtsspezifische Unterschiede: Wenig selbstbewusste Frauen zeigten Aktivität in kognitiven Kontrollarealen des Gehirns. Es stand also das Ziel im Vordergrund, die Aufgabe gut zu erfüllen. Bei Männern waren Areale aktiviert, die in Verbindung mit Selbstbezug und Emotionen stehen.
 
"Stress kann auch positiv sein"

Insgesamt weisen die Untersuchungen darauf hin, dass es geschlechtsspezifische Effekte gibt, die für die Stressreaktion und den Umgang mit Stress entscheidend sein können, wie Derntl und ihre Kollegen erklären. Nicht immer sei Stress für Männer oder Frauen jedoch negativ. "Solange er nicht chronisch wird, kann er etwas sehr Positives und Motivierendes sein." (Neuroimage, 2017; doi: f3s4w4)

(Wissenschaftsfonds FWF/ PR&D, 07.02.2017 - DAL)

 

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