...das muss er wohl im Kopf haben.
Grosse Hoden, kleines Hirn
Mensch, Schimpanse, Beuteltier: Je grösser die männlichen Geschlechtsorgane einer Tierart sind, desto kleiner ist ihr Gehirn. Woran liegt das eigentlich?
von Andrea Six
Paarungsriten mögen anstrengend sein. Dass der Mann jedoch nach einem einmaligen Liebesrausch kollabiert und stirbt, klingt nicht nach einer effizienten Fortpflanzungsstrategie. Für einige Beuteltiere lohnt sich diese suizidale Sexualpraktik aber offenbar. So kopulieren die Männchen der Breitfuss-Beutelmäuse in Australien einmal im Leben in einem mehrwöchigen Paarungsrausch, der mit dem Tod endet. Das Immunsystem schaltet sich vor lauter Stress ab, die kleinen Tiere verlieren ihr braunes Fell und verbluten innerlich.
Für die Erhaltung ihrer Art ergibt das Liebesopfer der Mäuse durchaus Sinn. Australische Forscher haben berechnet, dass je mehr Energie die Männchen in eine kurze heftige Paarungszeit investieren, desto mehr Nachkommen überleben. Damit das Opfer Früchte tragen kann, besitzen die Tiere verhältnismässig grosse Hoden.
In der Entwicklungsgeschichte zahlt es sich unter Umständen aus, sich bei der Samenproduktion zu verausgaben. «Jedem männlichen Wesen steht lediglich eine beschränkte Menge an Energie zur Verfügung», sagt Stefan Lüpold von der Universität Zürich. «Wie diese Energie auf die Erhaltung des eigenen Körpers und die Fortpflanzung verteilt wird, ist je nach Tierart sehr unterschiedlich», so der Biologe.
Einen anderen Ausgang nahm das evolutionäre Spiel Hoden gegen den Rest des Körpers bei den Brüllaffen: So haben diese Primaten aus Mittel- und Südamerika entweder eine besonders sonore Stimme oder grosse Hoden. Wer viel Sperma produziert, muss dafür mit einem feineren Stimmchen singen.
Suchend-tastender Penis
Entscheidend für den Siegeszug der eigenen Spermien ist zudem, wie die Partnerwahl abläuft. Ist die Konkurrenz gross, weil sich das Weibchen mit vielen Partnern einlässt, müssen die Männchen viel Energie für die Samenproduktion aufwenden, um möglichst viele Spermien beim Weibchen zu placieren. Der Glattwal etwa umwirbt sein Weibchen mit suchend-tastendem Penis. Gleichzeitig muss er seine Mitstreiter übertreffen. Welcher Samen den Treffer landet, hängt vom Zufall ab. Da lohnt es sich, möglichst viele eigene Spermien ins Rennen zu schicken.
Und noch ein Hindernis steht seinem Vaterglück im Weg: die unglaubliche Grösse der zukünftigen Mutter. Auf dem Weg zum Ei müssen die Spermien einige Meter zurücklegen. «Im Genitaltrakt von grossen Tierarten geht ein enormer Teil der Samenzellen verloren», sagt Stefan Lüpold. Grosse Tiere setzen daher auf eine hohe Anzahl von Spermien. Der Glattwal hat sich dafür eine stattliche Spermafabrik zugelegt: Eine ganze Tonne wiegen seine Hoden. Sein Gehirn hingegen bringt nur wenige Kilo auf die Waage. Zum Vergleich: Ein Mann mit diesen Proportionen trüge eine Zwetschge im Kopf und eine Melone in der Hose. Üblicherweise ist es andersrum.
Mehr oder weniger monogam
Und trotzdem kommt ein Mann mit einem nur gerade 40 Gramm leichten Produktionsorgan zum Zug. Selbst Bruder Schimpanse bringt mit einem geringeren Körpergewicht doch einen dreifach so grossen Hoden mit zur Partnerwahl. «Die Strategien von Schimpanse und Mensch sind sehr unterschiedlich», sagt Lüpold. Schimpansen leben promisk. Der Mensch hingegen mehr oder weniger monogam. Der Mann pflanzt sich demnach mit weniger Konkurrenzdruck fort und kann es sich leisten, weniger Spermien zu produzieren. So bleibt mehr Energie für andere Kapazitäten übrig. So kann in Gehirngrösse, komplexe Sozialstrukturen, feinmotorische Leistungen oder kulturelle Fähigkeiten investiert werden. Ganz ähnlich verhält es sich bei Fledermäusen. Monogame Arten begnügen sich mit einem kleinen Hoden, profitieren dafür aber über ein mächtigeres Denkorgan.
Manchen Wesen scheint dieser Weg zu mühsam gewesen zu sein. Schlangensterne, nahe Verwandte der Seesterne, stellen 40 Prozent ihres Körpers der Spermienproduktion zur Verfügung. «Weil der Schlangenstern seine Samen einfach in die Umgebung abgibt, braucht er grosse Mengen, damit ein Spermium auf ein ebenfalls frei schwimmendes Ei treffen kann», sagt Lüpold. Dafür gibt sich der Schlangenstern mit einem äusserst schlichten Gemüt zufrieden und schleicht gedanklich unbelastet durch die Weltmeere.
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