Mittwoch, 20. Juli 2016

Testosteron, entmythologisiert.


aus nzz.ch, 20. 7. 2016                                                                     Dihydrotestosteron

von Andrea Roedig

... Robin Harings Buch ist die populärwissenschaftliche Fassung seiner Habilitation; und die Kapitel tragen bemüht lustige Überschriften wie «Wer hat, der kann» oder «Nix für Turnbeutelvergesser» oder «Die Wechseljahre – jetzt auch für den Mann». Auf der Basis etlicher naturwissenschaftlicher Studien versucht der Epidemiologe, die Luft aus dem symbolisch zur Manneskraft aufgeblasenen Testosteron zu lassen. Auch hier kann man einiges über die Geschichte der Hormon-Entdeckung lesen, aber auch gut Verständliches über den Einfluss von Testosteron auf die Entwicklung des Fötus im Mutterleib und Ernüchterndes über die Wirkung des Hormons als vermeintliches Haarwuchsmittel. Die Testosteronkonzentration im Blut sage nichts über die Wirksamkeit aus, weil der eigentliche Faktor die Fähigkeit der Rezeptoren, das Hormon aufzunehmen, sei

Haring hält die Mitte. Er spricht sich nicht direkt für die radikale Theorie der sozialen Konstruktion des Geschlechts aus, legt aber nahe, dass das meiste am Geschlechtscharakter gesellschaftlich bestimmt sei, und weist auch darauf hin, dass, wie im «Kreisverkehr», soziale Einflüsse sich wiederum auch auf den Hormonhaushalt auswirkten. So könne in Konfliktsituationen der Testosteronspiegel ansteigen, bei frischgebackenen Vätern dagegen sei er ziemlich niedrig. Als Fazit liesse sich festhalten, dass das Androgen – physisch zwar nicht wirkungslos, aber doch bei weitem überschätzt – vor allem als wunderbares Placebo tauge.

Einerseits, andererseits

Zwischen der Skylla des populären Sachbuchs und der Charybdis erheblichen Theorie-Geraunes hindurchgetaucht, muss die Rezensentin «Testo Junkie» den Preis für das anregendere Buch zuerkennen. Der Text ist anstrengend und verstörend, aber auch ungemein vielfältig und inspirierend, vor allem was die Wahrnehmung von Körperbildern angeht und Vorstellungen alternativer Geschlechterordnungen.

... Was aber die Entmythologisierung von Testosteron betrifft, so hat Robin Haring gewonnen. Denn die erotisch-dämonisierende Eloge des Pharmakons in «Testo Junkie» zeichnet sich nicht gerade durch eine nüchterne Einschätzung aus. Gegen solche Aufbauschung bietet die schlichte «Männerlüge» ein gutes Antidot.

Robin Haring: Die Männerlüge. Wie viel Testosteron braucht der Mann? Braumüller, Wien 2016. 191 S., Fr. 30.90.

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