aus Süddeutsche.de, 26. Oktober 2016, 09:29 Uhr
Der Suff, ein männliches Phänomen? Das ist eine
veraltete Sicht. Dabei sind Frauen das empfindlichere Geschlecht, wenn
es um übermäßigen Alkoholkonsum geht.
Vielleicht übertreiben es die Frauen manchmal mit
dem Streben nach Gleichstellung. Dabei sollte sich herumgesprochen
haben, dass Männer nicht immer als Vorbild taugen. Trotzdem steigt in
vielen Teilen der Welt der Anteil der Frauen, die rauchen, während jener
der Männer stagniert oder zurückgeht. Ein ähnlicher Trend ist beim
Alkoholkonsum zu beobachten. Frauen holen auf und verringern damit den
Abstand zwischen den Geschlechtern, wie Forscher aus Australien im
Fachmagazin BMJ Open berichten.
Vor 100 Jahren kamen Alkoholgenuss und damit verbundene Gesundheitsschäden mehr als doppelt so häufig bei Männern vor wie bei Frauen. In manchen Regionen der Welt waren Männer sogar bis zu zwölfmal so oft davon betroffen. Inzwischen haben die Frauen jedoch nachgezogen, wie Suchtforscher um Tim Slade von der University of New South Wales zeigen. Sie haben 68 Studien zum Alkoholkonsum mit mehr als 4,4 Millionen Teilnehmern rund um den Globus ausgewertet. Die Analyse umfasste Jahrgänge von 1891 bis 2001 und damit mehr als 100 Jahre. Mit jedem Jahrzehnt wurde der Unterschied im Alkoholkonsum zwischen den Geschlechtern geringer.
"Alkoholkonsum und die daraus folgenden Störungen wurden historisch immer als männliches Phänomen aufgefasst"
"Alkoholkonsum und die daraus folgenden Störungen wurden historisch immer als männliches Phänomen aufgefasst", sagt Tim Slade. "Das ist eine veraltete Sicht. Mittlerweile sollten besonders die jungen Frauen als Zielgruppe gesehen werden." Gerade in den Jahrgängen ab 1980 und besonders ab 1990 zeigte sich, dass Frauen fast so oft zum Rausch neigen wie Männer und - da sie weniger vertragen - fast ebenso häufig von alkoholbedingten Schäden betroffen sind. Was "problematisches Trinkverhalten" angeht, liegt das Verhältnis zwischen Männern und Frauen für die Jahrgänge 1991 bis 2000 bei 1,2 zu 1. "Unsere Analyse zeigt, dass Frauen die Männer in einigen Bereichen schon überholt haben", sagt Slade.
In Deutschland warnen Institutionen wie die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) immer wieder vor
den Risiken des Alkoholkonsums. "Zwar hat sich der Anteil junger
Erwachsener, die regelmäßig - das heißt mindestens einmal pro Woche - Alkohol trinken, seit 1970
ungefähr halbiert, was eine erfreuliche Entwicklung im Sinne der
Prävention ist", sagt Michaela Goecke, die das Suchtreferat der BZgA
leitet. "Aber der gleiche Alkoholkonsum ist für Frauen auf Dauer
gesundheitlich riskanter als für Männer." Vor diesem Hintergrund ist es
bedenklich, dass im Vergleich zu vor zehn Jahren zwar deutlich weniger
junge Männer gesundheitlich riskante Mengen Alkohol zu sich nehmen, der
Rückgang bei jungen Frauen hingegen nur minimal ausgefallen ist. "Hier
ist die Quote von jungen Männern und Frauen inzwischen fast gleich",
sagt Goecke.
Dabei sind Frauen eindeutig das empfindlichere Geschlecht, was Alkohol angeht. Trotz niedrigerer Grenzwerte werden Leber, Hirn, Herz und Kreislauf früher und stärker geschädigt und auch die Krebsgefahr steigt schneller an, wenn Frauen über dem Limit trinken. "Es geht nicht darum, jedes Glas zu verbieten", sagt Michaela Goecke. "Aber Frauen müssen noch stärker aufpassen als Männer, wie viele Suchtstoffe sie zu sich nehmen."
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