Dienstag, 23. Februar 2016

Wer will denn "neue Väter"?

aus nzz.ch, 5.2.2016, 05:30 Uhr

Die Mühen der «neuen Väter»
Gängige Idealvorstellungen von Vaterschaft sind im Alltag wenig brauchbar. Dies sagt eine neue Studie. Während daheim die Ansprüche an die Männer steigen, sind sie noch immer meist die Haupternährer.

von Seraina Kobler

Über 88 Stunden pro Woche sind Väter direkt oder indirekt für Frau, Kind und Beruf im Einsatz. Dies haben Forscher der Universität Freiburg errechnet. Das Projekt Tarzan ist aus der 2015 durchgeführten Franz-Studie hervorgegangen. Für diese wurden 300 Familien befragt. Ein genaues Zeitprofil zu ermitteln, war eines der Kernanliegen der Erziehungswissenschafterin Margrit Stamm. Die Untersuchung zeigt: Väter übernehmen einen steigenden Betreuungsanteil und sind für den Grossteil des Familieneinkommens verantwortlich (siehe Grafik).

Standen in den letzten Jahren mehrheitlich Mutter und Kind im öffentlichen und wissenschaftlichen Interesse, fristeten die Väter ein Schattendasein. Zu Unrecht. Die Gesellschaft habe sich «in eine Sackgasse manövriert», heisst es in der Studie. In vielerlei Hinsicht gälten Väter heute als ungenügend. Mit dem Aufkommen der Frauenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren sei die Rolle des Mannes unter Druck geraten. Der Bedarf nach weiblichen Arbeitskräften und die gesellschaftliche Liberalisierung forderten neue Männer, neue Väter. Darüber, was dies konkret bedeute, herrsche kein Konsens – noch nicht.

Um der Antwort ein Stück näherzukommen, brauche es neue Konzepte von Vaterschaft und die wissenschaftliche Entzauberung einiger Mythen, sagt Stamm. Als eines der Hauptprobleme in der gegenwärtigen Diskussion ortet die Studie den Umstand, dass engagierte Vaterschaft am traditionellen Bild der allzeit verfügbaren Mutter gemessen wird. So würden andere Leistungen wie die Bereitstellung der ökonomischen Ressourcen und die Versorgung materieller Bedürfnisse ausgeblendet.

Wie die moderne Mutter soll auch der heutige Vater alles können: Karriere machen, Kinder betreuen und das Klo putzen. Mit der realen Arbeitswelt seien diese Idealbilder wenig kompatibel, zu diesem Schluss kommt die Studie. Ja, sie wirkten gar verunsichernd bei der Suche nach einer zeitgemässen Definition der Vaterrolle. Mehr Präsenz sei zum Beispiel nicht immer besser für die Entwicklung der Kinder. Dies zeigen neue Forschungsergebnisse. Vaterschaft umfasse auch andere wichtige, nicht direkt sichtbare Aktivitäten. In puncto Präsenz sei die Qualität der Fürsorge bei Anwesenheit wichtiger als die Menge an gemeinsam verbrachter Zeit.

Auch ist die Mutter nicht von Natur aus die bessere Erzieherin. Dennoch wird ein glorifiziertes Bild der Mutterschaft gepflegt, gerade von Männern. Wissenschaftlich sei dieses aber längst widerlegt. Kinder könnten zu mehreren Personen stabile Bindungen aufbauen.

Wenn es um Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, dann sind diese mehrheitlich weiblich konnotiert. Dies sei falsch. Väter hätten zusehends ähnliche Konflikte und befänden sich in einem Dilemma. Die Partnerinnen fordern ein höheres Engagement zu Hause, dennoch sind die Männer meist die Brotverdiener und sollen Karriere machen. Deshalb sei es wichtig, dass sie ihre Bedürfnisse klarer formulierten, bei den Vorgesetzten, aber auch politisch.

Mehr als eine Kopie der Mutter


Möchte ein Elternpaar die Lasten in Haus und Büro besser untereinander verteilen, muss die Mutter ihr «Revierverhalten» aufgeben. Zwar wünschten sich viele Frauen präsente Männer, aber eben nur so, wie sie sich dies vorstellten. Sie müssten aufhören, ihre Qualitätsansprüche auf den Vater zu übertragen, wird in der Studie empfohlen. Gelinge es der Gesellschaft, von der starken Mutter-Kind-Fixierung Abstand zu nehmen, sei dies die Ausgangslage für eine gute Vaterschaft. Denn nur so ist es den Männern möglich, ihr heimisches Engagement selbstbestimmt zu entwickeln – jenseits von mütterlicher Konkurrenz.

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Eine kurze Typologie der Väter

Der traditionell Ambitionierte
Er lehnt eine egalitäre Aufteilung zwischen Familien- und Erwerbsarbeit ab. Spielt und liest aber am häufigsten mit den Kindern. Schulnoten sind ihm wichtig, trotzdem kuschelt er gerne. Er pflegt ein traditionelles Rollenbild und ist der Meinung, dass seine Frau die Berufstätigkeit einschränken soll. Ambitionierte Väter sind eher in Leitungspositionen tätig.

Der egalitär Begeisterte
Er ist davon überzeugt, dass seine Frau beruflich nicht zurückstecken soll und unterstützt sie auch im Haushalt. Sein Vatersein ist von besonderer Freude und Nähe geprägt. Dennoch spielt und liest er weniger als der traditionelle Vater.

Der orientierungslos Distanzierte
Sein Engagement für die Kinder ist auf allen Ebenen bescheiden. Er lehnt zwar die traditionelle Rolle des Ernährers ab, hat aber keine alternative Vorstellung. Die Mutter überlässt ihm keine Verantwortung für die Kinder. Väter dieses Typs sind jünger und in allen Berufen vertreten
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Doppeltes Risiko

Keine Generation vor ihnen hat sich so intensiv um den Nachwuchs gekümmert wie die heutigen Väter. Viele nehmen eine grössere Rolle im Familienalltag wahr und betreuen die Kinder mit. Es zeigt sich, dass auch Männer bei der Vereinbarkeit mit dem Beruf zunehmend in der Zwickmühle stecken. Die Wirtschaft fordert weibliche Arbeitskräfte – und hat für diese in den letzten Jahren vieles verbessert.

Bei den Vätern gelten andere Massstäbe. Meist sind sie es, die ein volles bezahltes Pensum leisten. Noch nimmt der Arbeitgeber bei ihnen wenig Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen. Wollen Väter diesen trotzdem nachgehen und arbeiten Teilzeit, müssen sie Abstriche bei der Karriere machen. Viele Paare resignieren angesichts dieses Dilemmas und entscheiden sich für ein «klares Modell», bei dem die Frau in einem kleineren Pensum und der Mann voll berufstätig ist. Rund 50 000 Akademikerinnen verzichten in der Schweiz auf ihre Berufstätigkeit.

Statt staatlicher Gleichstellungsprogramme, die auf Frauen ausgerichtet sind, wäre männliche Unterstützung vonnöten. Denn nur, wenn der Vater seiner berufstätigen Partnerin auch einmal den Rücken freihält, kann ein gleichgestelltes Familienmodell gelingen. Der Einsatz der Männer ist hoch. Einerseits verzögert sich ihr berufliches Weiterkommen wegen des häuslichen Engagements, andererseits hört die familiäre Gleichberechtigung in der Regel bei einem Scheitern der elterlichen Liebesbeziehung auf. Auch Vätern mit hohen Anteilen an der Kinderbetreuung wird im Streitfall meist die Obhut entzogen und der Mutter zugeteilt.

An dieser richterlichen Praxis hat sich trotz neuen gesetzlichen Grundlagen, die eine gemeinsame Obhut auch gegen den Willen des anderen Elternteils erlauben würden, nicht viel geändert. Nicht selten werden Männer zu Zahlvätern mit minimalem Besuchsrecht degradiert. Das neue Unterhaltsrecht dürfte diesen Widerspruch noch verstärken. Die gesellschaftliche Realität und die Auslegung der Gesetze klaffen immer weiter auseinander.

Dies muss behoben werden. Nicht mit Frauenförderung in Form neuer komplexer Umverteilungsmechanismen – sondern damit, dass man die Emanzipation beim Wort nimmt. Frauen sind im Beruf und Männern in der Familie gleiche Rechte und Pflichten einzuräumen.


Nota. - Hätten sich Männer nicht jahrzehntelang vom Feminismus umnebeln lassen, wäre Vaterschaft heute kein größeres Problem, als sie schon immer war.
JE

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