Wie sich das männliche und das weibliche Gehirn unterscheiden
Im Gehirn sehen Frauen und Männer in manchen Regionen völlig anders aus, das bringt geschlechtsspezifische Handlungen und Krankheiten.
von Jürgen Langenbach
Ihre Kinder habe sie ganz geschlechtsneutral erzogen, Spielzeugwaffen habe es nie gegeben, nicht einmal eine Spritzpistole, berichtete eine junge Mutter aus dem Publikum im Anschluss an einen Vortrag der Psychologin Margaret McCarthy (University of Maryland): „Aber vor ein paar Tagen hat mein siebenjähriger Sohn sein Erdnussbuttersandwich in die Form eines Gewehrs gebissen und damit auf seine Schwester gezielt.“ Das Publikum lachte, viele hatten ähnliche Erfahrungen. McCarthy war auch nicht überrascht, sie ist beruflich hinter den gar nicht so kleinen Unterschieden her, die sich im Gehirn der Geschlechter zeigen (The Scientist, 1. 10.).
Diese sind natürlich nicht so grotesk, wie der Wiener Philosoph Otto Weininger imaginierte, der die Welt bzw. den Menschen in zwei Prinzipien aufgeteilt sah: W, das des Weibes (und der Juden), es steht für geile Gier, M, das des Mannes, es steht für reinen Geist. Wieviel W und M jede und jeder hat, sei im Geschlecht angelegt, aber nicht festgeschrieben: Man könne sich hocharbeiten, durch sexuelle Enthaltsamkeit. Allerdings sei für Frauen bei 50 Prozent M Schluss, auf 100 kämen nur Männer. Weininger wollte sie, mit einiger Folgerichtigkeit erschoss er sich – womit soll sich auch eine Vernunft befassen, die alles Konkrete und Körperliche hinter sich gelassen hat?
Der Nachhall war enorm, nicht nur, weil Weininger sich im Sterbehaus Beethovens erschoss. Seine Pathologie war keine private, sie wurde weit geteilt: „Geschlecht und Charakter“ erschien 1903 – im Todesjahr –, 1909 kam die elfte Auflage, bis 1932 folgten 28 weitere, 1933 wurde das Buch verboten, von den Nazis, Weiniger war konvertierter Jude.
Aber ist damit, dass Weininger und viele Gefolgsleute dem Wahn verfielen, alles entschieden über mögliche Unterschiede, auch im Gehirn? Männer haben etwa eine bessere Orientierung im Raum, mit einer Ausnahme: Frauen erinnern sich auf Märkten exzellent daran, wo sie das letzte Mal gut eingekauft haben, mag es auch lang her sein. Beides rechnet man dem Gattungserbe zu, dem der Arbeitsteilung, also der Kultur: Bei Jägern und Sammlern schwärmen die Männer aus, sie müssen zurückfinden, mit schwerer Beute oder, häufiger, ohne, wenn sie nichts erjagt haben. Frauen sichern die Grundversorgung, sie müssen im Kopf haben, wo wann was geerntet werden kann.
Nicht alle Unterschiede sind so klein, und nicht alle lassen sich der Kultur zurechnen. Depressionen etwa treffen Frauen fünf Mal so häufig wie Männer, beim Autismus ist es umgekehrt, zehn Mal so viele Männer leiden darunter. Beim Versuch, das rätselhafte soziale Defizit zu erklären, kehrt – in milderer Form – die Geschichte mit dem männlichen Gehirn wieder: „Die autistische Persönlichkeit ist eine extreme Variante der männlichen Intelligenz.“ So umschrieb der österreichische Kinderarzt Hans Asperger 1944, was er „autistische Psychopathen“ nannte. Das Männliche umschrieb er so: Diese Patienten seien „kleine Professoren“. Es sprach sich nicht weit herum, Asperger publizierte auf Deutsch, erst in den 1990er-Jahren wurde die Idee aufgegriffen, von Simon Baron-Cohen (Cambridge): Für ihn haben Autisten ein „extreme male brain“ – männliches Denken stülpt Regeln über die Welt, weibliches versetzt sich eher in sie hinein –, und das komme daher, dass die Föten im Uterus zu hohen Konzentrationen von Testosteron ausgesetzt sind, dem männlichen Sexualhormon.
Kampfspiele.
Gesichert ist das nicht, gesichert ist zweierlei: Generell männliche und weibliche Gehirne gibt es nicht – sondern „Mosaike“, Daphna Joel (Tel Aviv) hat es bestätigt (Pnas, 1. 12.) –, aber regional sind Unterschiede da, gewaltige. Vor allem im präoptischen Areal, dort sitzt unter anderem die Sexualität. Und dort sieht es je nach Geschlecht ganz anders aus, es ist bei Männern größer und dichter verschaltet. Das kommt von Sexualhormonen, die in der frühen Embryonalentwicklung über das Geschlecht entscheiden, bei dessen Organen und im Gehirn: Beide sind ursprünglich weiblich und bleiben es dann entweder, oder sie werden vermännlicht. Im Gehirn ist das auch in der Amygdala so, in der männlichen Variante sorgt sie etwa dafür, dass der Nachwuchs Tob- und Kampfspiele bevorzugt, so wie der eingangs erwähnte Bub (Pnas 107, S. 20535). Solche Details trägt McCarthy seit Jahren zusammen, und zwar an Geschöpfen, bei denen weder Kultur auf das Gehirn durchschlägt noch Gendern: McCarthy forscht an Mäusen.
Gesichert ist das nicht, gesichert ist zweierlei: Generell männliche und weibliche Gehirne gibt es nicht – sondern „Mosaike“, Daphna Joel (Tel Aviv) hat es bestätigt (Pnas, 1. 12.) –, aber regional sind Unterschiede da, gewaltige. Vor allem im präoptischen Areal, dort sitzt unter anderem die Sexualität. Und dort sieht es je nach Geschlecht ganz anders aus, es ist bei Männern größer und dichter verschaltet. Das kommt von Sexualhormonen, die in der frühen Embryonalentwicklung über das Geschlecht entscheiden, bei dessen Organen und im Gehirn: Beide sind ursprünglich weiblich und bleiben es dann entweder, oder sie werden vermännlicht. Im Gehirn ist das auch in der Amygdala so, in der männlichen Variante sorgt sie etwa dafür, dass der Nachwuchs Tob- und Kampfspiele bevorzugt, so wie der eingangs erwähnte Bub (Pnas 107, S. 20535). Solche Details trägt McCarthy seit Jahren zusammen, und zwar an Geschöpfen, bei denen weder Kultur auf das Gehirn durchschlägt noch Gendern: McCarthy forscht an Mäusen.
Das tun viele andere auch, etwa in der Pharmakologie – dort geht es um Leben und Tod: In den 1990er-Jahren bemerkte man, etwas spät, dass Medikamente vor allem an Männern getestet wurden – und vielleicht bei Frauen ganz anders wirken –, das US-Gesundheitsamt NIH schrieb Tests auch an Frauen vor, viel geholfen hat es nicht, Nature beklagte es im Editorial (465, S. 665).
Völlig vergessen, auch vom NIH, blieben die, an denen Gehirne zuerst erforscht und Medikamente zuerst getestet werden, die Versuchsmäuse. Sie sind meist Männchen, sind einfacher zu halten und unterliegen keinen hormonellen Schwankungen. Aber an ihnen werden auch Leiden von und mögliche Therapien für Gehirne untersucht, und ausgerechnet dort ist der Männchenüberhang am größten, Irvin Zucker (Berkeley) bilanziert und beklagt es (Neuroscience and Biobehavioral Behavior 40, S. 1).
Hinsichtlich der Medizin beklagt er das mit vollem Recht, hinsichtlich der Menschheitsgeschichte nur mit halbem: Die Männer sind nicht mehr die alten, sie haben sich partiell verweiblicht und dadurch erst die höhere Kultur ermöglicht, zumindest sieht das Robert Cieri (Utah) so, Weininger würde erbleichen (Current Anthropology 55, S. 4): Vor 70.000 Jahren kamen viele technische Innovationen, auch erste Kunstwerke – Gravierungen in Rötel – und: Unsere Ahnen machten sich auf den Weg aus Afrika in den Rest der Welt. All das ging nur, weil die Menschen verträglicher wurden, und sie wurden es, weil sie ihr Testosteron zurückfuhren: Denn das Hormon moduliert nicht nur das Gehirn, sondern auch den Knochenbau, etwa den des Gesichts: Hohe Gehalte machen es männlich, aber vor 70.000 Jahren wurde es weiblicher, Cieri hat es aus Fossilien herausgemessen.
aus The Washington Post, 1. 8. 2014
Verweiblichung oder Verkindlichung?
facial measurements from more than 1,400 ancient and modern human skulls in the study. (Robert Cieri)
Low testosterone could be what made us civilized humans
By Rachel Feltman
No, this isn't some jab at dudes. According to a study published in Current Anthropology, our transition into modern civilization might have coincided with our species' drop in testosterone.
An ancient modern human and a recent modern human. (Robert Cieri/University of Utah)
Nota. - Ist das ältere Gesicht männlicher? Es ist gröber, das jüngere ist feiner. Aber ist grob männlich und fein und zart weiblich? Das kommt mir nun wirklich wie eine Genderei vor, eine spätere kulturelle Zuschreibung; dass Frauen generell feiner und zierliche wären, kann man doch von den heute noch lebenden Jäger- und Sammler-Völkern nicht sagen, und auch in großen Teilen Ostasiens ist es nicht evident.
Allerdings ist fein, zart und zierlich spezifisch kindlich. Bei den runden Gesichtern spricht man von Kindchen-Schema. Und Homo sapiens ist allerdings die kindlichste Gattung, die es gibt: Neotenie nennt man das Persistieren ontogenetisch kindlicher Morphologien im Lauf der Evolution; dass also phylogenetisch das erwachsene Individuum mehr kindliche Züge bebehät. Wenn die 'Neotenie' unserer Gattung unter anderm auf einer Reduzierung der Testosteronzufuhr beruhte, müsste uns das nicht wundern. Weniger Männlichkeit ist aber nicht dasselbe wie mehr Weiblichkeit.
JE
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