Mittwoch, 10. Dezember 2014

Keine Einbildung: Männer haben häufiger Infekte.

aus nzz.ch, 5. 10. 11

Männer haben häufiger Infekte

von Ulrike Gebhard

Männer genervt mit entsprechenden Bemerkungen abzufertigen, wenn sie einmal mehr über eine «starke» Erkältung klagen, mag nicht nur wenig aufmunternd, sondern auch falsch sein. Denn das «starke Geschlecht» fühlt sich bei Infekten häufig nicht nur kränker, es ist es auch. Wie einige Studien zeigen, beschert ein offenbar schwächeres Immunsystem den Männern vom Kindesalter an im Durchschnitt häufigere und schwerere Infekte. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein. So beeinflussen die Sexualhormone die Immunzellen unterschiedlich. Auch gewisse Verhaltensweisen wirken sich auf die Infekthäufigkeit und -schwere aus. So befolgen Männer Hygieneregeln in Spitälern meist schlechter als Frauen.

Unvollständige Inaktivierung

Iris Pinheiro und ihr Forschungsteam von der Universität Gent in Belgien machen nun auf das X-Chromosom als einen weiteren Grund für die Unterschiede aufmerksam.¹ Frauen haben davon in jeder Körperzelle, also auch in Immunzellen, zwei Exemplare, Männer nur eines. Während der Entwicklung wird in den Zellen des weiblichen Embryos jeweils eines der beiden X-Chromosomen «ausgeschaltet». Allerdings ist diese Inaktivierung nicht immer vollständig. Laut Pinheiro zeigen Studien, dass 15 Prozent der Gene auf dem zweiten X-Chromosom aktiv bleiben und Frauen daher doppelt so viel vom jeweiligen Genprodukt in ihren Körperzellen haben können wie Männer.



Nun enthält gerade das X-Chromosom viele Gene, die den Ablauf einer Immunantwort beeinflussen. Dazu zählen etwa Erbanlagen, die Informationen für Alarmglocken der ersten Abwehrfront tragen – so etwa einige der durch den diesjährigen Medizinnobelpreis bekanntgewordenen Toll-like-Rezeptoren (TLR). Aber auch etwa 10 Prozent jener rund 800 bisher beim Menschen entdeckten kleinen RNA-Schnipsel (miRNA) «sitzen» auf dem X-Chromosom. Diese können unter anderem die Übersetzung der genetischen Information in Proteine blockieren.

Wie diese Gene und miRNA-Moleküle den Frauen zu einem stärkeren Immunsystem verhelfen, versteht man erst in Ansätzen. So produzieren weibliche Abwehrzellen vermutlich mehr der Alarmglocke TLR7, die bei Virenbefall anspringt. Sie können daher, wie Laborversuche zeigen, bei Kontakt mit den Erregern mehr Interferon freisetzen. Dies könnte die Körperabwehr stärker in Gang bringen als bei Männern, vermutet Sabra Klein von der Johns Hopkins University in Baltimore.² , ³ Die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Immunsystem sollten ihrer Meinung nach stärker erforscht werden und Daten aus epidemiologischen oder Impfstudien immer auch auf das Geschlecht der Teilnehmer hin analysiert werden. So reagierten Frauen auf eine Grippeimpfung mit wesentlich höheren Antikörpermengen, weshalb bei ihnen die halbe Impfdosis ausreichen würde, sagt Klein.

Nicht immer ein Vorteil

Ein Mehr an Immunaktivität ist jedoch nicht immer vorteilhaft. So dürfte ein überaktives Immunsystem während der H1N1-Grippepandemie von 2009 bei Frauen mehr schwere Erkrankungen durch einen «Zytokinsturm» in der Lunge ausgelöst haben. Frauen sind zudem anfälliger für Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Rheumatoide Arthritis, bei denen ein übereifriges Immunsystem den eigenen Körper angreift.

¹ Bioessays, Online-Publikation vom 28. September 2011; ² Bioessays, Online-Publikation vom 28. September 2011; ³ Biology of Sex Differences, Online-Publikation vom 4. November 2010.

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