Samstag, 9. März 2019

"Für Theorie krankt es an Inhalt, und für Kunst krankt es an Form."


aus derStandard.at, 8. März 2019,

Lisa Eckhart: 
Was täten junge weiße Gören ohne alte weiße Männer?
Was genau ist die Schuld dieser alten weißen Männer? Dass sie nicht springen, wenn der Feminismus pfeift

Der größte Modeschöpfer der Geschichte – Gianni Versace – ist tot. Und Karl Lagerfeld ist auch gestorben. Versace wurde erschossen. Lagerfeld starb lieber von selbst. Somit blieb vielen nur mehr Rufmord. Der Nachruf war in Windeseile der üblen Nachrede gewichen. Hauptanklagepunkt: "Lagerfeld war Frauenhasser!" Natürlich war er das.

Er war Designer und schwul. Was zeugt von größerer Misogynie als Frauen nicht aus-, sondern anziehen zu wollen? Selbst als Homosexueller, einst populäres Accessoire unter Frauen, war Lagerfeld nicht sicher vor weiblicher Respektlosigkeit. Eine junge Dame rief sogar zur Anti-Kondolenz auf. Warum? Er war ein alter weißer Mann. Beweislage abgeschlossen. Ein Jahr ist vergangen, seit Catherine Deneuve und Nina Proll sich gegen Larmoyanz aussprachen. Was folgte, war die Arroganz. Zelebriert von jungen Frauen, welche in alten weißen Männern ihren Gottseibeiuns fanden. Warum in diesen? "Stolz, laut, selbstbestimmt"

Weiße Männer zu pauschalisieren wäre wohl eine Nummer zu groß. Alt aber ist dehnbar, und die Jugend, schon fortschrittlich geschlechtslos, krönt sich eigenmächtig mit sittlicher Unfehlbarkeit. Eine dieser Frauen ist Sophie Passmann. Sie schrieb ein Buch zu den alten weißen Männern. "Schrieb" ist ein Euphemismus, Passmann führte Interviews. Sie tat, was dem Weibe seit jeher am liebsten – tratschen. Mit 15 weißen Männern. Das zeuge von Gesprächsbereitschaft. In Wahrheit ist es unumgänglich, andere zu Wort kommen zu lassen, wenn man selber nichts zu sagen hat.

Ein Schlichtungsversuch ist der Untertitel des Buches, aber geschlichtet wird nichts. Wie auch? Die Autorin halte, wie sie konstatiert, als Feministin ohnehin "Deutungshoheit" inne. Da fragt sich dieser Narr von Kant ein Leben lang "Was kann ich wissen?". Hätte er einfach die Passmann gefragt! Die verplempert keine Zeit mit Erkenntnistheorie. Sum, ergo sum ist ihre Devise. Laut Pressetext des Buches sei Passmann eine jener "Frauen, die stolz, laut und selbstbestimmt sind". Attribute, welche leicht in "überheblich, vorlaut und selbstgerecht" kippen. Passmann ist darin nicht allein. Die Riege junger, weißer Gören heißt zum Glück nicht Legion, aber zumindest Legionelle.

Sargnagels Satire

Wo tummeln sich junge, weiße Gören? Auf Facebook, Instagram und Twitter exkrementieren sie Authentizität, und auf Buchmessen lassen sie grübeln, wann der Dammriss stattgefunden, seit dem die Literatur ein Phallus, der Sperma und Urin beherbergt. Für Theorie krankt es an Inhalt, und für Kunst krankt es an Form. Den Bastard, der dabei herauskommt, nennt man sinnentleert Satire. Als solche adelt man sogar, wenn die Göre Stefanie Sargnagel schreibt: "Österreich, du dummes Huankind." Dessen Antipatriotismus liegt verkannterweise darin, dass man in Österreich traditionsgemäß fäkal und nicht sexuell flucht. Aber dem Proletariats-Schick der Gören fehlt die Kreativität der ingeniösen Beleidigung, wie sie etwa der alte weiße Mann Mundl gepflegt hat. Anstatt sich von dem inspirieren zu lassen, schimpfen junge weiße Gören auf die alten weißen Männer. Nicht auf den alten weißen Mann (an sich), wie man etwa auf den Ausländer schimpft. Der kollektive Singular ist kein Individuum, sondern platonische Idee des idealen Ausländers, der ohne Unterlass schändet und stiehlt. Das machen nämlich bei weitem nicht alle. Alte weiße Männer hingegen sind ausnahmslos sexistische, uneinsichtige Despoten.

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Weswegen junge weiße Gören nicht den Singular benutzen. Damit nur ja nicht einer denkt, dieser alte weiße Mann wäre – gleich dem Ausländer – ein phantasmagorisches Konstrukt, dessen Bekämpfung nur dem Zweck dient, weitaus tiefer liegende, gesellschaftliche Antagonismen nach wie vor ignorieren zu können.

Systemkritik mit Veganismus

Jegliche Systemkritik ziemt jungen, weißen Gören nicht. Schließlich inkarnieren sie den Neoliberalismus hundert Mal besser als die alten, weißen Männer. Sie posieren als bewusstlose Büttel auf der Agora des digitalen Datenhandels. Ihren stilisierten Street-Food-Veganismus halten sie für Konsumverzicht. Die zum Humbug erklärten Geschlechter und Heimat ersetzen sie durch einen markttauglichen Lifestyle. Für alles andere gibt es Party-Essenzialismus!

Letzterer gebar die Gewissheit: All die alten weißen Männer genießen Privilegien, derer sie sich nicht bewusst sind. So auch Passmann. Ihre Position ist eine, die nicht weniger Privilegien verheißt. Ich rede hier zwar aus Erfahrung, aber dennoch ist es wahr. Auch ich bin jung und weiß und Frau. Mir werden heutzutage Chancen nicht trotz meiner Fähigkeiten verwehrt, sondern trotz meiner Fähigkeiten ermöglicht.

Amourös, nicht animos

Als ich in Passmanns Alter war, galt den alten weißen Männern unser amouröses, nicht animoses Interesse. Sie hatten uns nichts angetan. Sie hatten es uns angetan. Demnach bin ich wohl zu befangen, um irrational auf sie einschlagen zu können. Zugleich möchte ich alte weiße Männer sowie deren Verfehlungen nicht verteidigen. Hätte ich den Eindruck, dies tun zu müssen, wären sie mir wohl auf ewig vergällt. Doch was genau ist die Schuld dieser alten weißen Männer? Dass sie nicht springen, wenn der Feminismus pfeift. Viele können nicht mehr springen. Und ein Pfeifen nicht mehr hören, weil sie es unentwegt im Ohr haben. Doch man werde es sie lehren: Alter schützt vor Torheit nicht. Besonders nicht vor der Torheit der anderen.

Was wären junge weiße Gören ohne die alten weißen Männer? An wem kontrastierten sie ihre sakrosankte Weltsicht? Blieben sie ewig Antithese, die trotzig auf den Boden stampft? Geistlosigkeit, die stets verneint? Das sollten sie sich schnell überlegen. Wir sahen es an Lagerfeld; der alte, weiße Mann ist sterblich, und seine Tage sind gezählt. Nicht weil es die Gören so wollen, sondern weil dem schlicht so ist. Und Scharen einst'ger Klägerinnen heulen auf wie Klageweiber. 

Lisa Eckhart lebt als Kabarettistin in Wien und Berlin.

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