Freitag, 9. November 2018

Je mehr man ihn bestreitet, umso größer wird der kleine Unterschied.

Garten des buddhistischen Fruchtbarkeitstempels Tawarayama Onsen (Japan)

In der Neuen Zürcher vom 2. November rezensierte Markus Schär ein neu erschienenes Buch des neuseeländischen Psychologen Steve Stewart-Williams - The Ape that Understood the Universe; in Untertitel: How the Mind and Culture Evolve. Gegenstand ist die beliebte Frage, ob Männer und Frauen "von Natur aus" unterschiedlich sind oder ob "alles nur Erziehung" ist. Nach einem kurzen Abriss des Aufstiegs der Gender Studies kommt er zur Sache selbst: 
 
Der Konstanzer Biologe Axel Meyer stiess auf wütenden Protest, als er 2015 mit seinem Buch «Adams Apfel und Evas Erbe» erklärte, «warum Frauen anders sind als Männer». Und der Zürcher Anthropologe Carel van Schaik zwang sich, «den Text so trocken wie möglich zu halten», als er 2016 sein Lehrbuch zu den «Primate Origins of Human Nature» herausgab, «weil jede Aussage zum menschlichen Verhalten zu erbitterten Debatten führen kann». Der Autor des Bestsellers «Das Tagebuch der Menschheit» wagt sich erst in seinem nächsten Buch so locker wie in seinen Vorlesungen an die Unterschiede zwischen den Geschlechtern – nach seiner Emeritierung.

«Die Soziobiologen und die Evolutionspsychologen platzten wie die Stinktiere in eine Party», so Steve Stewart-Williams. Der Neuseeländer, der nach akademischem Globetrotten jetzt als Psychologieprofessor an der University of Nottingham in Malaysia lehrt, stellt diese Ideen in seinem neuen Buch, «The Ape that Understood the Universe», klar und witzig dar, mit einem ambitiösen Ziel: «In diesem Moment in der Geschichte ist es erstmals möglich, eine Erklärung für das menschliche Verhalten und die menschliche Kultur zu geben, die wenigstens eine passable Chance hat, akkurat zu sein.»

Der Psychologe stützt sich, wie die Biologen, auf die Evolution. Und bei der Geschlechterfrage geht er von einem Problem aus, das schon Charles Darwin umtrieb: Warum ziert den Pfauenhahn ein prächtiges Rad, obwohl es ihm im Überlebenskampf nur Nachteile beschert? Der Stammvater der Evolutionslehre fand bereits die Lösung: Es gibt nicht nur die natürliche, sondern auch die sexuelle Selektion. Bei den Pfauen wählten die Hennen die Hähne mit den schönsten Rädern aus, weil diese stark und gesund sein mussten, damit sie sich einen so hinderlichen Prunk leisten konnten – die Weibchen züchteten also die Männchen nach ihrem Wunschbild.

Welche Qualitäten das eine Geschlecht beim anderen schätzt, hängt von der Investition in den Nachwuchs ab. Die Weibchen müssen die Jungen austragen und oft lange beschützen, sie brauchen also Väter, die ihnen dabei helfen. Die Männchen dagegen können eine Vielzahl von Weibchen begatten, dafür müssen sie sich mit Ornamenten als Erzeuger empfehlen oder mit Waffen gegen Konkurrenten durchsetzen. Darum der Federschmuck bei den Vögeln oder die Mähne bei den Löwen einerseits, die Geweihe bei den Hirschen oder die grossen Eckzähne bei den Schimpansen anderseits. Darum aber auch die breiteren Schultern oder die wilderen Triebe bei den männlichen Menschen – zumindest sehen es die Anthropologen so.

Mit der Evolution aufgrund der sexuellen Selektion erklären sie, was Carel van Schaik im Lehrbuch und Steve Stewart-Williams als Populärwissenschaft aufzeigen: Männer wählen ihre Partnerinnen aufgrund ihrer Fruchtbarkeit aus; sie achten deshalb auf gesunde Haut und runde Formen. Und Frauen suchen bei ihren Partnern neben der Gesundheit vor allem Status und Ressourcen – deshalb finden, wie Axel Meyer zündelt, auch alte, graue Männer mit Porsche noch Gespielinnen. Mit diesem Ansatz lassen sich aber auch die Ungleichheiten begründen, die Politikerinnen wie Simonetta Sommaruga* missfallen: Im Durchschnitt – also nicht in jedem Fall! – interessieren sich Männer eher für Dinge und Frauen eher für Beziehungen, kämpfen Männer härter gegen Konkurrenten und gehen grössere Risiken ein. Deshalb erringen die Männer mehr Chefposten oder Nobelpreise, begehen aber auch schwerere Straftaten und erleiden einen früheren Tod.

Nicht die Evolution habe zu diesen Unterschieden geführt, wenden die Vertreterinnen der Gender-Studies ein, sondern die jahrtausendelange Diskriminierung der Frauen im Patriarchat. Dagegen fragt Steve Stewart-Williams, ob es um die Gewalt, die Untreue oder die Abenteuerlust der Männer geht: Weshalb zeigen sich die Geschlechtsunterschiede, wenn sie denn kulturell geprägt sind, in allen Kulturen gleich? Und vor allem: Weshalb halten sie sich, selbst wenn die Sozialisation, wie beim Zähmen wilder Knaben, dagegenwirkt?

Ungleich sind die Geschlechter denn auch gerade, wenn sie – dank der Gleichstellung der Frauen – machen können, was sie wollen. Eine Studie im führenden Wissenschaftsjournal «Science», mit dem bei Ernst Fehr in Zürich ausgebildeten Ökonomen Armin Falk als Lead-Autor, bestätigte kürzlich mit einer weltweiten Erhebung einen Befund, den die evolutionäre Psychologie schon länger kennt: je fortschrittlicher die Länder bei der Gleichstellung, desto grösser der Geschlechterunterschied bei der Berufswahl. Es könnte also doch vernünftige Gründe geben, weshalb sich die Löhne von Männern und Frauen unterscheiden – selbst wenn die Bundesrätin keine sieht.

*) Simonetta Sommaruga vertritt die Sozialistische Partei im Schweizer Bundesrat; 2015 war sie Bundespräsidentin der Schweiz.

Steve Stewart-Williams: The Ape that Understood the Universe. How the Mind and Culture Evolve. Cambridge University Press, Cambridge 2018. 378 S., Fr. 42.90.


Nota. - Der Fortschritt wird nach Nestroy immer kleiner statt größer, je näher man ihn anschaut. So ungezogen ist der Kleine Unterschied nicht. Der wird, wie die Natur es will, größer, je genauer man hinsieht.
JE.



 

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