Donnerstag, 22. Oktober 2015

Die faustische Natur des Mannes.

Menschen schlagen zu - bevorzugt ins Gesicht.





















aus Die Presse, Wien, 22.10.2015 | 00:01 | 

Wie Männer die Menschheit emporprügelten
Die erste Waffe des Menschen war seine Faust, mit ihr wird bis heute zugeschlagen. Ein US-Biologe sieht darin ein Herzstück unserer Evolution und rekonstruiert es Schritt für Schritt.

Von Jürgen Langenbach

Wenn Männer in Streit geraten, dann fliegen nach Worten oft Fäuste, das haben wir von unseren frühesten Ahnen: Wir fahren einander nicht mit den Zähnen an die Gurgel, wie das im Tierreich Usus ist, wir schlagen zu, bevorzugt ins Gesicht. Und deshalb sehen unsere Hände noch so aus wie die unserer frühesten Ahnen – Australopithecus („Lucy“), sie haben vor 4,2 bis zwei Millionen Jahren gelebt –, und unsere Gesichter tun es nur deshalb nicht mehr, weil wir entweder im Lauf der Jahrmillionen friedfertiger geworden sind – oder weil noch so gut knochengepanzerte Schädel nicht schützen vor den Waffen, die irgendwann die Fäuste abgelöst haben.


So geht zumindest die Geschichte, an der David Carrier (University of Utah) seit Jahren strickt: Die Hände der Menschen sind anders gebaut als die der Affen, Schimpansen inklusive. Bei uns wurde der Daumen länger, und die anderen Finger wurden kürzer, die der Knochen des Handtellers auch, unsere Ahnen brauchten ja keine Greifhände zum Klettern mehr, seitdem sie von den Bäumen herabgestiegen sind und sich auf dem Boden zum aufrechten Gang erhoben hatten. Wir brauchten stattdessen Hände, die mit Werkzeugen umgehen konnten. Das ist hinter der Entwicklung der Hand gestanden, so sieht es der Mainstream der Evolutionsbiologen.

Carrier schlug dazwischen, und wie, 2007 holte er das erste Mal aus: Ihm war noch eine Differenz zwischen uns und Australopithecus ins Auge gestochen. Diese Ahnen konnten zwar aufrecht gehen, aber nicht gut, sie hatten kurze Beine, vor allem die Männer. Deshalb lag der Schwerpunkt ihrer Körper tief, und darin sah Carrier den Schlüssel für den Bauplan: So ein Körper hatte einen guten Stand, zum Zuschlagen und zum Auspendeln, auch von eingesteckten Schlägen.

Aufrechter Gang? Härterer Schlag!

2011 kam Carriers nächster Schlag, nun hat er den aufrechten Gang selbst auf den Faustkampf zurückgeführt: Viele Tiere erheben sich zum Kampf – von Katzen bis Bären –, der Mensch hat es auf Dauer getan. So konnte er von oben nach unten zuschlagen, und das bringt mehr Kraft in einen Schlag, als wenn er umgekehrt geführt wird, 2,3-mal soviel, Carrier hat es an Testpersonen gemessen. Dann hat er sich unserem Schlaginstrument zugewandt, wieder Probanden ins Labor gebeten: Menschen schlagen – korrigiert um das Körpergewicht – nicht härter zu als Menschenaffen. Aber diese schlagen mit der offenen Hand, die Faust konzentriert die Kraft auf eine kleinere Fläche. Dagegen mussten sich die Gesichter wappnen: Australopithecus hatte dicke Wülste, sie wurden später abgelegt, gegen Pfeile und Kugeln helfen Knochen nicht.

Aber nicht nur Gesichter sind verletzlich, Hände sind es auch, vor allem die Knochen des Handtellers. Wieder hilft die Faust, der einfallsreiche Experimentator hat es an Händen von neun Leichen gezeigt, acht konnte er verwerten – „eine war zu arthritisch“ (Carrier). Er tat das, indem er die Finger in verschiedene Positionen brachte. Und das tat er, indem er die Sehnen mit Angelschnüren verband und daran zog (Journal of Experimental Biology 21. 10.). „Viele Schnüre sind uns gerissen“, bedauert Carrier, aber er konnte den Lohn der Mühe ernten: „Mit der geschlossenen Faust kann man 55 Prozent härter zuschlagen als mit abgewinkeltem Daumen, ohne die Handknochen zu gefährden. Und doppelt so hart wie mit der offenen Hand.“

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